Aufmerksamkeit - Tipps für mehr Konzentration
von Roswitha Wurm

Konzentrier dich doch!
Auch beim Spielen wirkt Marie unruhig. Selten bleibt sie länger als zehn Minuten bei einer Sache: Sie holt ein Puzzlespiel hervor, legt ein paar Teile und verliert dann die Geduld. Nun kippt sie ihre Bausteine aus der Lade. Bevor sie ihr Bauwerk beendet hat, fällt ihr ein, dass sie ein Bild malen möchte, und sie holt ihre Malstifte. Am Ende herrscht das große Chaos, nichts ist fertig und Marie ruft: "Mir ist langweilig!"
Unruhiges Spielverhalten
So wie der kleinen Marie geht es vielen Kindern. Es fällt ihnen schwer, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache gerichtet zu halten. Nicht nur beim Lernen, auch beim Spielen lässt sich dieses Phänomen immer häufiger an Kindern beobachten. Nina würde alles dafür geben, dass ihre kleine Tochter Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf bekommen könnte. Sie wünscht ihr so sehr die kleinen und größeren Erfolgsmomente, die man erfährt, wenn man eine Sache zu Ende geführt hat. Irgendwo hat Nina gelesen, dass Konzentration als Schlüssel zum Erfolg gilt. Da sie sich Sorgen um Marie macht, hat sie ihre Tochter bereits mehrfach testen lassen, ob sie an AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit - Hyperaktivitätsstörung) oder an einer Lernschwäche leidet. Es konnte aber keine Ursache für Maries Konzentrationsschwierigkeiten gefunden werden.
Bleib dabei!
Konzentration wird als die Fähigkeit beschrieben, mit allen Sinnen bei einer Sache zu bleiben. Also die Bündelung der geistigen Aufmerksamkeit auf eine Sache hin. Diese Fähigkeit fällt einem nicht bei allen Tätigkeiten einfach so zu. Das bedeutet, dass man Konzentration und Aufmerksamkeit willentlich steuern und auch trainieren kann. Wenn es einem Kind schwerfällt, sich zu konzentrieren, kann dies verschiedene Ursachen haben.
Eltern sollten sich folgende Fragen stellen:
- Bekommt das Kind ausreichend äußere Ruhe?
- Hat es genügend Schlaf und Regenerationszeiten?
- Darf es sich ausreichend bewegen?
- Ist es von früh bis spät fremdgesteuert, weil immer andere sagen, was es als Nächstes zu tun hat? Lasse ich meinem Kind altersentsprechend genügend Freiraum?
- Hat es Rückzugsmöglichkeiten in seinem Tagesablauf?
- Darf das Kind Dinge allein ausprobieren und auch Fehler machen?
- Verbringt das Kind viele Stunden mit Fremdberieselung vor dem Fernseher oder mit Computerspielen?
- Trinkt das Kind genügend? Ernährt es sich ausgewogen?
Welches Verhalten ist normal?
Die gute Nachricht ist: Konzentriertes Verhalten kann man üben.
Eltern dürfen ihre Kinder damit allerdings nicht überfordern. Altersabhängig unterschiedlich ist die Zeitspanne, in der sich ein Kind auf eine Sache konzentrieren kann. So ist es völlig normal, wenn ein fünfjähriges Kind nach einer Viertelstunde Beschäftigung, bei der es stillsitzen musste, eine andere Tätigkeit sucht. Natürlich können sich Kinder in diesem Alter auch einmal länger mit einer Sache beschäftigen, wenn sie davon fasziniert sind. Dennoch übersehen Eltern häufig die Tatsache, dass sich ihr Kind einfach seinem Alter entsprechend verhält. Erwachsene projizieren ihr eigenes Konzentrationsvermögen auf das der Kinder und fordern von ihnen mitunter eine viel zu lange Aufmerksamkeits-Zeitspanne.
Äußere und innere Ablenkungen
Wichtig ist es, für das Kind ein Umfeld zu schaffen, in dem es sich ausreichend konzentrieren kann.
- Neben ausgewogener Ernährung und ausreichend Schlaf während der Schulzeit verbessert auch ein heller, freundlicher Arbeitsplatz die Konzentration.
Das muss nicht unbedingt ein eigener Schreibtisch sein. Viele Kinder lernen gerne im Wohnzimmer. Allerdings ist es schwierig, Hausübungen zu schreiben oder zu lernen, während der Fernseher läuft oder das Geschwisterkind im gleichen Zimmer laut spielt. Natürlich muss es in der Wohnung nicht mucksmäuschenstill sein, aber es sollte eine gewisse Rücksicht auf das lernende Kind genommen werden, besonders wenn es zu Konzentrationsproblemen neigt.
- Mitunter kann sanfte Musik im Hintergrund die Konzentration des Kindes fördern.
- Manchen Kindern hilft es, wenn eine Aromalampe mit einem Lieblingsduft neben ihrem Arbeitsplatz steht.
- Ist das Kind plötzlich auffällig unkonzentriert und macht mehr Fehler als üblich? Dann kann es sein, dass es mit inneren Konflikten zu kämpfen hat. Vielleicht hat es Ärger mit anderen Kindern oder es wurde in der Schule ungerechterweise ermahnt? Fühlt es sich einem Geschwisterkind gegenüber zurückgesetzt? Hat es Schmerzen oder befindet es sich in einer Entwicklungsphase? Fühlt es sich einer Aufgabe nicht gewachsen und ist überfordert?
- Treten Aufmerksamkeitsprobleme erst in der Schuleintrittsphase in Zusammenhang mit Schreiben, Lesen und Rechnen in Erscheinung, könnte auch eine Lerndifferenzierung wie Legasthenie oder Dyskalkulie (= eine Schwäche beim Rechnen) dahinterstecken.
Bei sich selbst bleiben
In einer überlieferten alten Geschichte wird ein alter, weiser Mann gefragt, was das Geheimnis seines fokussierten und erfolgreichen Lebens sei. Er antwortet: "Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich laufe, dann laufe ich. Wenn ich esse, dann esse ich." "Ja, aber das tun wir doch auch!", antworten seine Gesprächspartner erstaunt. "Nein", sagt der Mann, "das stimmt nicht: Wenn ihr sitzt, dann geht ihr schon. Wenn ihr geht, dann lauft ihr bereits ..."
Da Eltern wie ein Spiegel sind, ist es wichtig, den Kindern einen aufmerksamen Lebensstil so gut wie möglich vorzuleben. Wenn Sie gerade mit Ihrem Kind sprechen, dann sollten Sie sich beispielsweise nicht von jedem Klingel- oder Signalton des Handys ablenken lassen. Während der Mahlzeiten sollte nicht auch noch der Fernseher laufen. Das Geheimnis eines aufmerksamen und konzentrierten Lebens besteht also darin, dass man lernt, bei der Sache zu sein und auf das fokussiert zu bleiben, was man gerade tut.
Eine gute Aufmerksamkeitsübung ist, dem Kind den Auftrag zu geben: "Setze dich ruhig hin, schließe die Augen und achte auf die Geräusche rund um dich her. Bis ich Stopp sage." Das darf anfangs nur ganz wenige Augenblicke dauern und kann dann gesteigert werden. Ähnliche Übungen können bereits jüngere Kinder selbst mit kleinen Sanduhren durchführen, die es in verschiedenen Minutenlängen gibt. Diese Aufgaben fallen sogar uns Erwachsenen mitunter schwer.
"Mama, ich kann mich nicht konzentrieren!" Wenn Eltern diesen Satz hören, ist es daher an der Zeit, gemeinsam daran zu arbeiten. Denn ein bisschen Aufmerksamkeitstraining in unserem oftmals hektischen Alltag schadet niemandem von uns.
Autorin
Roswitha Wurm, ist Dipl. Legasthenie-Dyskalkulietrainerin, Dipl. Lerndidaktikerin und dipl. Sportmentaltrainerin.
Auf ihrer Website www.lesenmitkindern.at findet man Videos mit Tipps für ein spielerisches Aufmerksamkeitstraining.