Schulverweigerung - Was tun?
von Claudia Schwinghammer

Wenn Kinder nicht mehr in die Schule gehen wollen
Wenn Kinder und Jugendliche sich weigern, zur Schule zu gehen, kann das das Leben von Familien gehörig auf den Kopf stellen. In der Praxis bedeutet das oft eine Verlagerung des Unterrichts an den Küchentisch bis hin zu komplexen Arrangements, die den Kindern "freies" Lernen ermöglichen sollen. In Österreich gilt, wie in anderen Ländern auch, die allgemeine Schulpflicht. Das bedeutet, dass Eltern dafür sorgen müssen, dass ihr Kind regelmäßig zum Unterricht erscheint. So weit die Theorie.
Was können Eltern, Lehrer und die Schulleitung gemeinsam tun, fragt sich Psychotherapeutin und Autorin Claudia Schwinghammer.
Ursache finden
Immer häufiger begegnen in der therapeutischen Praxis Kinder und Jugendliche, die schon mehrere Wochen lang den Gang in die Schule verweigern. Die Eltern sind oft ratlos und verzweifelt. Der Autorin dieses Beitrages ist die kleine Lea noch sehr gut in Erinnerung. Sie war elf Jahre alt, als sie in die Praxis kam, und hatte sich im Gymnasium noch nicht wirklich einleben können. Ihre Freundinnen waren nach der Volksschule in eine andere Schule gegangen, und sie fühlte sich in der neuen Klassengemeinschaft so gar nicht wohl. Ein besseres Kennenlernen abseits des regulären Schulbetriebs war aufgrund der Corona- Pandemie schwer zu realisieren, da Projekttage und Co. gestrichen wurden und auch der Sport in der Freizeit eingeschränkt war. Waren es zunächst einzelne Tage des Fernbleibens, wurden daraus schließlich Wochen. Erst als Leas wahre Angst, keinen Anschluss zu finden und abgelehnt zu werden, ans Tageslicht kam, wurde die Wiedereingliederung in den Schulbetrieb in kleinen Schritten durch ein Begleiten der Familie wieder möglich.
Die Gründe für eine Schulverweigerung sind vielfältig. Glaubt man Fachleuten, so stehen dahinter neben Angst vor der Schule, Mobbing und Stress durch Leistungsdruck auch psychische Erkrankungen oder ein instabiles Elternhaus. Nicht zu vergessen die Pandemie-Situation, die Kindern sowohl Angst macht als auch die gewohnte Gemeinschaft massiv einschränkt. Einige glauben sogar, dass die Rückkehr in ihr gewohntes Leben gar nicht mehr möglich sei.
Was hilft Kindern und Jugendlichen dabei, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen? Welche Unterstützung brauchen diejenigen, die komplett verweigern?
Beobachten und Reagieren
Schon wenige unentdeckte oder seitens der Schule und Eltern nur nachlässig verfolgte "Schwänztage" können den Wiedereinstieg massiv erschweren. Entscheiden Sie, welche Bezugsperson den besten Zugang zu Ihrem Kind hat. Infrage kommen neben Eltern auch Klassenlehrer, schulpsychologische Fachkräfte oder sonstige Vertrauenspersonen. Diese Schlüsselperson übernimmt eine zentrale Aufgabe!
Sich ein konkretes Bild von der Situation machen
Gerade wenn es um unsere Sprösslinge geht, verlieren wir oft unsere neutrale Haltung. Reagieren Sie deshalb bitte nicht affektiv auf unregelmäßigen Schulbesuch, sondern machen Sie sich zuerst bewusst, welche Gefühle (Ärger, Traurigkeit, Sorge, Hilflosigkeit) das Schwänzen bei Ihnen selbst auslöst.
Wir alle haben unsere eigene Geschichte und gehen davon aus, dass unsere "Landkarte" auch die unserer Kids ist.
- Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Perspektivenwechsel: Versetzen Sie sich in die Position Ihres Kindes.
- Und "Wie geht es dir?" zu fragen ist immer besser als eine Standpauke.
- Versuchen Sie, gemeinsam mit ihrem Kind das Was, Wieso und Wozu zu klären – welche Bedürfnisse, Ängste oder auch Gedanken liegen hinter seinem Verhalten?
- Die häufig zuerst gestellte Frage nach dem Warum führt meist nur zu einer Rechtfertigungswelle und bringt Sie keinen Schritt weiter.
Perfektionismus führt dazu, dass wir die Ziellinie niemals erreichen...
Gemeinsam an einem Strang ziehen
Nachweislich die nachhaltigste Wirkung erreichen Sie durch Kooperation und Zusammenarbeit ... zuerst einmal mit Ihrem Kind. Welchen Weg auch immer es wählt: Stehen Sie als Eltern hinter ihm, wird sich eine Lösung finden. Wenn Lehrer, die Schulleitung und Eltern an einem Strang ziehen, lassen sich gemeinsam wirkungsvolle Strategien entwickeln. Wichtig dabei ist es, das Thema Schulverweigerung nicht isoliert, sondern in unterschiedlichen Kontexten, in unterschiedlichen Lebensbereichen zu betrachten und die Auswirkungen auf Familienleben, Leistung oder auch Sozialkontakte einzubeziehen.
Stopp mit der Jagd auf großartige Noten und Erfolge!
Gerade in belastenden Situationen, wie Schulverweigerung sie erzeugt, ist es nicht ratsam, auf Top-Schulleistungen zu beharren. Verabschieden Sie sich von perfektionistischen Ideen und gehen Sie schrittweise vor.
- Primär sollte Druck rausgenommen werden. Dadurch entstehen wieder neuer Spielraum und Bewegungsfreiheit.
- Wie bei vielen Themen spielt auch bei der Schulverweigerung ein fehlender Selbstwert die zentrale Rolle. Deshalb lautet die Devise "Stärken statt Schwächen". Unterstützen und ermutigen Sie Ihr Kind, streichen Sie Anwesenheiten positiv heraus und erhöhen Sie damit das erlebte Gefühl der Zufriedenheit.
- Eine Sache scheint noch sehr zentral: Zeigen Sie sich authentisch und "unperfekt". Erzählen Sie von eigenen Ängsten und Unsicherheiten. Das macht Sie viel nahbarer und bringt Kommunikation auf Augenhöhe.
- Apropos Kommunikation: Häufige offene Gespräche, unter anderem über die Unterrichtsgestaltung und Erfolgserlebnisse, helfen auf dem Weg zurück in die Schule.
- Unterstützend können auch Psychotherapie, Coaching oder Beratung wirken, da sie den betroffenen Familien einen neutralen Ort bieten, an dem Austausch wieder gut möglich ist. Das kann dabei unterstützen, weniger nützliche Dynamiken zwischen Familienmitgliedern aufs Tablett zu bringen.
Jedes Verhalten eines Menschen – auch das Schulschwänzen – ergibt aus der Sicht des Betroffenen Sinn. Mit Offenheit, Verständnis und wertschätzendem Fragen lässt sich weiterer Schmerz abwehren, der Selbstwert schützen, Bedrohliches oder Angstbesetztes lindern.
Ein Kind braucht keine Anerkennung für gute Noten, sondern für sein Bemühen und seine Anstrengung.
Infos zur allgemeinen Schulpflicht
Autorin
Claudia Schwinghammer ist Wirtschaftspsychologin, Coach, systemische Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, RTT Trainer u.v.m.
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