Die ersten Schritte, die ersten Worte, das erste Mal „ICH!“…
Im Alter von 13 bis 14 Monaten ist es bei den meisten Kleinkindern so weit: Sie beginnen zu laufen. Viele sind damit so beschäftigt, dass das Sprechen in den Hintergrund rückt. Ob Bewegungs- oder Sprachtalent: Wann die einzelnen Entwicklungsschritte einsetzen, ist Sache der Gehirnreifung. Motorisches Training, d. h. Skifahren- oder Eislaufen- Lernen, ist erst ab dem dritten Lebensjahr sinnvoll, so der Entwicklungspsychologe Hartmut Kasten. Die feinmotorische Entwicklung macht im zweiten Lebensjahr ebenso große Fortschritte, und selbst essen, trinken, an- oder eher ausziehen werden zum Thema.
Sprachentwicklung
Die ersten Worte außer „Mama“ und „Papa“ lassen die meisten Kinder mit 15 Monaten verlauten. Wenn der Wortschatz auf etwa 50 Wörter angewachsen ist, werden Zwei-Wort-Sätze gebildet. Mit 18 Monaten sprechen Experten von einer regelrechten Wortschatzexplosion, die mit einer höheren Nervenleitungsgeschwindigkeit einhergeht. Es kommt die Zeit des Bilderbuch-Anschauens und Memory-Spielens, da schon einfache Zusammenhänge und Handlungsabläufe verstanden werden.
Die Entdeckung des (sozialen) ICHS
Aufgrund des Entwicklungsschrittes mit eineinhalb Jahren erkennen Kleinkinder sich selbst im Spiegel; aber auch andere Personen und deren Gefühle werden verstärkt wahrgenommen. Die Kinder werden mitfühlend und beginnen, andere zu trösten. Auch das Streicheln von Haustieren funktioniert jetzt schon besser. Andere Kinder werden mit Interesse beobachtet und erste Interaktionen finden statt, auch wenn noch kein gemeinsames Spiel möglich ist.
Trennungsängste
Die Zeiten des „Gehirnumbaus“ sind für die großen Kleinen aufregend und verunsichernd, sie suchen deshalb vermehrt Schutz bei Mama. Stärkere Trennungsängste gehören in dieser Zeit dazu. Geht Mama oder Papa fort, können Übergangsobjekte (Teddybär, Stoffwindel) Geborgenheit vermitteln.
Spielen
Im zweiten Lebensjahr wird vertikales und horizontales Bauen interessant, aber auch funktionales, repräsentatives oder sequentielles Spielen. Hinter diesen Begriffen stehen z. B. spielerisches Kochen oder Telefonieren, das „Füttern“ der Puppe und das Nachspielen von Handlungsabläufen wie z. B. einem Kaffeekränzchen. Symbolisch wird das Spiel, wenn die Vorstellungskraft zunimmt, wenn etwa Kinderstühle zum Autositz werden und so eine Autofahrt nachgespielt wird.
Trotzphase
Ist der Wille erst entdeckt, beginnt die Trotz- oder Autonomiephase. Wenn der eigene Wille nicht durchgesetzt werden kann, sind Frustrationen die Folge. Der Kinderarzt Remo Largo empfiehlt in seinem Klassiker „Babyjahre“, beim Kind zu bleiben und in Ruhe das Ende des Trotzanfalls abzuwarten, da selbst der Versuch zu trösten in solchen Situationen oft fehlschlägt. Standard-Krisensituationen aus dem Weg zu gehen bzw. sich vorab zu überlegen, wer sich in welchen Situationen durchsetzen darf, kann helfen. Rund um den zweiten Geburtstag sprechen Kinder erstmals von sich in der Ich-Form.
Trocken werden
Auch die Stuhl- und Urinkontrolle gehört zum Selbstständigwerden dazu.
Sie verläuft in drei Phasen, so die Psychologin Margit Firlei:
- Als Erstes erkennt ein Kind den Unterschied zwischen einer vollen und einer leeren Windel und stellt eine Verbindung zwischen körperlichem Drang und dem Windelresultat her.
- Zweitens merkt und benennt das Kind, wenn es gerade dabei ist, in die Windel zu machen.
- Erst in der dritten Phase spürt das Kind, dass eine Blasen- oder Darmaktivität bevorsteht. Dann kann an ein Weglassen der Windel gedacht werden. Gummibund statt Reißverschluss oder Knopf an der Hose macht das Selber-Ausziehen leichter und ist deshalb sinnvoll.
Geschwister Einversucht
Kommt ein Brüderchen oder Schwesterchen rund um den zweiten Geburtstag des ersten Kindes auf die Welt, taucht die Eifersucht auf den Neuankömmling womöglich erst später auf. Der Kinderarzt Remo Largo führt an, dass intensive Beziehungen zu anderen Kindern weniger Eifersucht gegenüber Geschwistern bewirken. Geschwistereifersucht kann auch noch mit drei, vier oder fünf Jahren Altersunterschied ein Thema sein. Gerade noch war der eigene Sprössling so klein und hilflos, und nun ist er schon mit einem Fuß in der Krabbelstube… „Genießen“ lautet das Motto, da die wunderbare Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Geburtstag so schnell vergeht. „Weggeflogen“, würde meine 21 Monate alte Tochter sagen.
Literatur:
0-3 Jahre: Entwicklungspsychologische Grundlagen und frühpädagogische Schlussfolgerungen
von Hartmut Kasten
Cornelsen Verlag 2017
ISBN 978-3-5891-5397-8
BABYJAHRE: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren
von Remo Largo
Piper Verlag 2013
ISBN 978-3-4922-5762-6
ICH WILL AUCH GESCHWISTER HABEN
von Astrid Lindgren
Oetinger Verlag 1979
ISBN 978-3-7891-6033-2
Autor:in:
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek lebt und arbeitet in Salzburg als Sozialwissenschaftlerin und freie Redakteurin. Aktuelle Artikel