1993 erstmals erschienen, gilt das Buch „Babyjahre“ des Schweizer Kinderarztes Remo Largo längst als Klassiker – und ist es auch mehr als 20 Jahre später wert, gelesen zu werden. NEW MOM präsentiert acht entwicklungsbiologische Erkenntnisse des Experten, die das Leben mit dem Baby leichter machen.
1) Wussten Sie, dass Selbstständigwerden wichtig fĂ¼r das SelbstwertgefĂ¼hl des Kindes ist?
Wir Menschen sind ja bekanntlich aus neurologischer Sicht FrĂ¼hgeburten, die nur mit viel Liebe und Pflege gedeihen. „Die Kunst zu erziehen“ beschreibt Remo Largo jedoch als Gleichgewicht zwischen den Polen Geborgenheit geben und Selbstständigkeit zulassen. In jedem Alter gibt es Kleinigkeiten, die der Spross selbst machen kann, sei es den Schnuller oder den Löffel zum Essen zu entdecken. Dem Kind alle Herausforderungen „abzunehmen“ ist nicht nur anstrengend fĂ¼r die Bezugspersonen, sondern auch der Entwicklung des Kindes abträglich.
2) Wussten Sie, dass die motorische und sprachliche Entwicklung Ausdruck eines inneren Reifungsprozesses ist?
Sie mĂ¼ssen Ihrem Baby weder das Gehen noch das Sprechen beibringen. Ganz im Gegenteil: Gehenlernen kann weder trainiert noch beschleunigt werden! Der Drang, die Welt zu entdecken, entsteht bei jedem Zwerg von selbst. Während manche Babys schon mit zehn Monaten auf eigenen Beinen wandern, lassen sich kleine Buddhas gerne mal 18 Monate Zeit damit. Entwicklungsbiologisch ist das völlig unbedenklich. Auch die Art und Weise, wie Kinder gehen lernen – mit oder ohne vorheriges Krabbeln -, variiert.
3) Wussten Sie, dass es schon bei Neugeborenen groĂŸe Unterschiede im SchlafbedĂ¼rfnis gibt?
Die Schlafmenge Neugeborener schwankt zwischen 14 und 20 Stunden pro Tag. Wie viel Schlaf das Baby braucht, lässt sich am einfachsten durch ein Schlafprotokoll feststellen – ebenso, ob es eher ein Morgen- oder ein Abendmensch ist. Wenn die Schlafmenge bekannt ist, kann sie dem Rhythmus der Familie entsprechend Ă¼ber den Tag beziehungsweise die Nacht verteilt werden. Ă„nderungen im Schlafverhalten mĂ¼ssen mindestens 14 Tage lang „durchgehalten“ werden, damit ein Gewöhnungseffekt eintritt. Nach dem dritten Monat ist das Gehirn Ă¼brigens so weit entwickelt, dass ein Durchschlafen von sechs bis acht Stunden prinzipiell möglich ist. Förderlich sind ein regelmĂ¤ĂŸiger Schlaf-Wach-Rhythmus und ein Einschlafzeremoniell, das die Selbstständigkeit des Babys beim Einschlafen fördert: Statt zu stillen sollte man etwa Hände oder Kopf streicheln.
4) Wussten Sie, dass der Höhepunkt des unspezifischen Schreiens durchschnittlich beim sechs Wochen alten Baby auftritt?
Studien belegen, dass dieses Schreien, das nichts mit Hunger oder Schmerz zu tun hat, nach der Geburt mehr wird, und zwar unabhängig vom Verhalten der Eltern. Danach nimmt es ab, um mit drei Monaten meist gänzlich abzuklingen. Bei Erstgeborenen tritt das unspezifische Schreien Ă¼brigens öfter auf. Eine Empfehlung des Kinderarztes lautet, das Baby Ă¼ber den Tag verteilt insgesamt drei Stunden zu tragen und nicht erst mit dem Tragen zu beginnen, wenn es schreit. Dass Tragen beruhigt, indem es das Gleichgewichtsorgan stimuliert, belegen auch kulturvergleichende Studien.
5) Wussten Sie, dass die Muttermilch je nach Tageszeit unterschiedlich zusammengesetzt ist?
Untertags hat Muttermilch mehr Inhaltsstoffe, die wach halten, und abends mehr EiweiĂŸstoffe, die mĂ¼de machen. Wenn Sie Muttermilch mit der Flasche fĂ¼ttern, sollten Sie sie also zu jener Tageszeit geben, zu der sie auch abgepumpt wurde, sofern Sie nicht Ihr Baby abends mit Morgenmilch aufputschen möchten. Ab dem vierten Monat ist Ă¼brigens eine Nachtmahlzeit, wenngleich beliebt bei Babys, nicht mehr zwingend nötig. Mit dem ZufĂ¼ttern von Brei sollten Sie nach dem vierten Monat beginnen, wenn das Kind Interesse an Essen und Löffel bezeugt, indem es den Mund aufmacht. Selbst essen zu lassen bringt vielleicht VerwĂ¼stungen mit sich, aber auch Erfolgserlebnisse fĂ¼r die Kleinen!
6) Wussten Sie, dass Kinder auf der ganzen Welt gleich spielen?
Während die Spielmaterialien variieren, sind die Abfolgen immer dieselben: Zuerst befĂ¼llen und entleeren Kinder Behälter, danach kommen vertikales (Turm-) und horizontales (Zug-) Bauen, bis die Bauwerke schlieĂŸlich dreidimensional werden. Auch die Entwicklung der sozialen Spiele folgt einem genauen Plan. Kinder spielen aus sich selbst heraus und mĂ¼ssen beziehungsweise sollen gar nicht bespielt werden! Allerdings haben die Kleinen es gerne, wenn die Mutter oder der Vater beim Spiel in der Nähe ist und ihnen Aufmerksamkeit schenkt oder sie beobachtet. Die wichtigste Rolle als Eltern haben Sie Ă¼brigens nicht als Spielpartner oder als Anbieter von Spielsachen, sondern als Vorbild. Denn Kinder spielen am besten alleine oder mit anderen Kindern. Sie als Eltern haben die Aufgabe, dem Kind die Welt der Erwachsenen nahe zu bringen, in der es viel lernen, entdecken und erleben kann. Das Kind am besten bei den alltäglichen Dingen – o gut es geht – mitmachen lassen.
7) Wussten Sie, dass frĂ¼hes Topf-Training nichts bringt?
Da das bewusste Wahrnehmen von Stuhl- und Harndrang Resultat eines Reifungsprozesses ist, ist frĂ¼hes Topf-Training verlorene LiebesmĂ¼h. Sobald ein Kind jedoch Eigeninitiative zeigt, indem es Urin und Stuhl bewusst wahrnimmt, können und sollen Eltern ihr Kind beim Sauberwerden unterstĂ¼tzen: einerseits, indem sie ihm ein Vorbild beim Klogehen sind, andererseits durch Kleidung, die einfach zum An- und Ausziehen ist. Hilfreich kann auch ein Sitzring sein, der die Toilette verkleinert.
8) Wussten Sie, dass das Sprachvermögen von der Gehirnentwicklung abhängig ist?
„Die beste Sprachförderung ist eine gute Beziehung zum Kind“, legt Remo Largo dar. Wie schon die motorische Entwicklung sind auch Sprachverständnis und Sprachvermögen abhängig von der Gehirnentwicklung. Mit dem Kind zu sprechen, BĂ¼cher zu lesen, Geschichten zu erzählen bereichert den Sprachlernprozess. Allerdings sollten Eltern darauf achten, das Kind in seiner Ausdrucksweise und Satzstellung nicht zu viel zu korrigieren. Das kann fĂ¼r das Kind frustrierend sein und den Fortschritt bremsen. Nachsprechenlassen bringt ebenso wenig wie Ă¼bermĂ¤ĂŸiges Korrigieren. Auch hier gilt: eine förderliche Umgebung schaffen und darauf vertrauen, dass das Kind seinen eigenen Weg geht. werden.
Buchtipp:
BABYJAHRE: ENTWICKLUNG UND ERZIEHUNG IN DEN ERSTEN VIER JAHREN
von Remo H. Largo
Piper Verlag
ISBN 978-3492257626
Autor:in:
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek lebt und arbeitet in Salzburg als Sozialwissenschaftlerin und freie Redakteurin. Aktuelle Artikel