Unser Immunsystem ist grundsätzlich eine feine Sache. Es überwacht, was alles an Mikroorganismen in unserem Körper herumwuselt und bekämpft Viren, Bakterien und Pilze, die uns schädlich werden können. Zusätzlich räumt es auch jene körpereigenen Zellen auf, die abgestorben sind oder Probleme machen. Mit Immunsystem ist ein Schnupfen lästig. Ohne wäre er tödlich.
Immungedächtnis
Das beste am menschlichen Immunsystem ist jedoch, dass es lernfähig ist und ein Gedächtnis hat. Jeder neue Mikroorganismus im Körper wird analysiert und als gefährlich oder ungefährlich kategorisiert. Das Immunsystem merkt sich diese Entscheidungen und hat, wenn der Organismus wieder kommt, gleich die passenden Antikörper bereit. Diesen Prozess nennt man Sensibilisierung.
Was ist überhaupt eine Allergie und wie viele Kinder und Jugendliche sind betroffen?
Eine allergische Reaktion ist eine Fehlleistung des Immunsystems, das auf einen harmlosen Reiz wie auf eine Bedrohung reagiert. Allergien zählen zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die vom Robert-Koch-Institut für Deutschland erhobenen Zahlen lassen sich auch auf Österreich übertragen.
Demnach leiden:
- 9,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen an Heuschnupfen,
- 6 Prozent sind von Neurodermitis betroffen,
- 4,1 Prozent haben Asthma bronchiale
- und 2,2 Prozent ein allergisches Kontaktekzem.
Leidet ein Elternteil an einer Allergie, hat das Kind ein 20 bis 30 Prozent höheres Risiko, eine Allergieneigung zu entwickeln.
Eine Neigung allein macht noch keine Allergie…
Kann man Allergien vermeiden? Neue Erkenntnisse!
Das wollten wir von Univ.-Prof. Zsolt Szépfalusi,, Leiter des Spezialbereichs für Pneumologie und Allergologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien, wissen. Die Antwort: „Man kann es nur versuchen.“ Wie? In der aktualisierten Leitlinie zur Allergie- und Asthma-Prävention, die Mitte 2022 erschienen ist, sind die wichtigsten neuen Empfehlungen zusammengefasst.
Prof. Szépfalusi: „Der Grundgedanke der neuen Empfehlungen ist, das frühe Zeitfenster der ersten Lebensmonate zu nutzen, um das kindliche Immunsystem mit möglichst vielen Allergenen und Antigenen bekannt zu machen, damit es lernt, Freund und Feind zu unterscheiden und angemessen zu reagieren. Die frühere Empfehlung, mögliche Allergene zu vermeiden, ist überholt.“ Also quasi zurück zum Kinderkrippenansatz.
Konkret bedeutet das:
- Vaginale Geburt, wann immer medizinisch möglich: Dabei kommt das Baby mit dem vaginalen Schleimhautmikrobiom der Mutter in Kontakt, wodurch sein Darm mit günstigeren Keimen als bei einer Sectio besiedelt wird, wie Beobachtungsstudien gezeigt haben. Ist ein Kaiserschnitt unumgänglich, sollte das Baby der Mutter unmittelbar nach der Geburt in die Arme gelegt werden, um Hautkontakt zu gewährleisten.
- Ernährung während Schwangerschaft und Stillzeit: Möglichst abwechslungsreich essen ist die Devise, gerne darf auch Fisch dabei sein. Ist Stillen nicht möglich, empfiehlt sich eine Säuglingsanfangsnahrung, deren vorbeugende Wirksamkeit gegenüber einer Allergieentwicklung in klinischen Studien bestätigt wurde. Nach vier Monaten kann mit Beikost begonnen werden, das Prinzip Vielfalt gilt auch hier.
- Je mehr Kontakte, desto besser: Kindergarten, Geschwister, Freunde, Aufenthalt auf einem Bauernhof mit möglichst vielen verschiedenen Tierarten – das Zauberwort heißt Biodiversität. Ja, die Kinder machen Infekte durch, aber das Immunsystem erhält so genügend Daten, um seine Unterscheidungsfähigkeit zu trainieren.
Was, wenn es doch nicht klappt? Und wann zum Kinderarzt?
Prof. Szépfalusi empfiehlt den Besuch beim Kinderarzt, wenn das Kind das erste Mal mit einem möglichen Allergen in Kontakt gekommen ist und z.B. einen Hautausschlag entwickelt, sich unwohl fühlt, erbricht oder an Durchfall leidet.
Im Säuglingsalter ist fast immer ein Lebensmittel dafür verantwortlich. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dann um eine Allergie vom Soforttyp. Der Kinderarzt kann die Allergie über Pricktest und Bluttests nachweisen und wird eine therapeutische Nahrung verordnen. In anderen Fällen kann man nach einem halben bis ganzen Jahr erneut einen Kontakt mit dem Allergen provozieren, um festzustellen, ob die erste allergische Reaktion, wie häufig beobachtet, wieder verschwunden ist. Prof. Szépfalusi: „Die gute Nachricht ist, dass 70 bis 80 Prozent der kindlichen Nahrungsmittelallergien nach den ersten Lebensjahren wieder verschwinden.“
Sonderfall Nüsse
Leider gilt das nicht für Allergien gegen Baumnüsse und Erdnüsse. Daher wird hier versucht, eine Immuntherapie zu entwickeln. Das kann noch dauern.
Für sehr schwere Fälle gibt es ein Präparat, mit dessen Hilfe die Toleranzgrenze schrittweise erhöht werden kann. Es handelt sich dabei um ein verkapseltes Pulver, das ins Essen gerührt wird. Diese Therapie muss aber zuerst im Spital durchgeführt werden, da Nebenwirkungen kontrolliert werden müssen. Ziel der Behandlung ist es, einen anaphylaktischen Schock zu vermeiden, wenn unwissentlich Erdnussspuren gegessen wurden, die heutzutage in vielen Lebensmitteln enthalten sind.
Und wenn es die Katze war?
Die Mieze muss nicht weg, ihre Haare sind unschuldig. Das Allergen ist nämlich ein bestimmtes Protein im Speichel (und auch Urin) der Katze.
Die gute Nachricht: Neuerdings gibt es spezielles Katzenfutter mit einem Enzym, das die Konzentration des Proteins im Speichel der Katze reduziert – so verteilt sie beim Putzen weniger Allergene auf ihrem Fell und die allergische Reaktion wird nicht ausgelöst.
Warum gibt es noch keine ursächliche Behandlung von Allergien?
Prof. Szépfalusi: „Es gibt eine genetische Disposition, eine Allergie zu entwickeln. Viele zusätzliche Faktoren tragen jedoch zur Manifestation der Allergie bei. Erst wenn diese ausreichend erkannt sind, kann mit einer gezielten vorbeugenden Allergiebehandlung gerechnet werden.“ Bis es so weit ist, hilft nur geeignetes Management … und vielleicht Katzenstreicheln zur Entspannung.
Wie wird die Diagnose „Allergie“ gestellt?
- Pricktest (Hauttest)
- Bluttest (um die Antiköper im Blut zu bestimmen, die speziell gegen bestimmte Allergene gerichtet sind)
- Epikutantest, Patchtest: Bei Verdacht auf eine Kontaktallergie.
Dazu wird eine Allergenzubereitung für 48 Stunden auf den Rücken geklebt. - Provokationstest
Wissenswertes
Allergie oder Nahrungsmittelunverträglichkeit?
Eine Allergie ist eine fehlgeleitete Überreaktion des Immunsystems, bei einer Nahrungsmittelunverträglichkeit mangelt es an geeigneten Enzymen zum Abbau.
Was ist ein anaphylaktischer Schock?
Eine akut lebensbedrohliche maximale Überempfindlichkeitsreaktion
des Immunsystems.
Autor:in:
Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel