Die Windeln loszuwerden ist ein erklärtes Erziehungsziel. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt dafür, welche körperlichen Voraussetzungen sind notwendig und ist das klassische Töpfchentraining sinnvoll oder gar der größte Sch…?
Große und kleine Geschäfte fordern ein perfektes Zusammenspiel von Gehirn, Reizleitungssystem, Ausscheidungsorganen und dem Beckenboden.
„Mama, ich muss aufs Klo.“ Dass ein Kind dies formulieren kann, erfordert weit mehr als nur den entsprechenden Wortschatz. Denn die Voraussetzungen für erfolgreiches „Sauberwerden“ liegen zum Großteil in der körperlichen Reife eines Kindes und hierfür sind die bewusste Steuerung der Harnblase und die Kontrolle über den Darm notwendig.
Doch nicht nur das: Auch die entsprechende geistige Entwicklung und mentale Bereitschaft müssen gegeben sein. Schließlich soll für das „Geschäft“ das Spiel unterbrochen werden und das richtige Timing ist erforderlich, um den Weg aufs Klo auch sicher zu schaffen.
Denn wenn Druck auf die Blase oder ein voller Enddarm wahrgenommen werden, muss:
- der Beckenboden erst mal noch angespannt bleiben, um die Ausscheidung zurückzuhalten
- das Gewand ausgezogen
- zum WC gelaufen
- und der „Thron“ bestiegen werden.
- Dort erst wird der entsprechende Schließmuskel losgelassen
- und im Falle von Stuhlgang werden zusätzlich Muskeln aktiviert.
- Wenn das alles geschafft ist, muss der Genitalbereich wieder sauber gemacht
- die Spülung betätigt
- das Gewand angezogen
- und die Hände gewaschen werden.
Wow, beachtlich viele Schritte führen also von der Windel zur Toilette.
„Gross“ und „klein“ Machen gehören zum Großwerden
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Kinder früher spüren, dass sie „groß“ müssen als „klein“.
Das liegt einerseits an der festeren Konsistenz des Ausscheidungsproduktes Stuhl und andererseits daran, dass dieses „Ereignis“ sich tendenziell stets zur gleichen Tageszeit wiederholt. Diese Regelmäßigkeit lässt sich gut nutzen, um den Toilettengang zu ritualisieren. Doch anders als bei einem strengen Töpfchentraining muss das Kind dabei nicht sitzen bleiben, bis es endlich „erfolgreich“ war. Auch wenn kein Stuhl oder Urin ins Töpfchen oder Klo gelangen, wird der Versuch gewürdigt und auf diese Weise nach und nach die immer gleiche Abfolge eines Toilettengangs erlernt.
Auch ins Spiel vertiefte Kinder können gefragt werden, ob sie aufs Klo müssen. Nicht selten sieht man ihnen ohnedies die Anspannung an und eine kleine Erinnerung ist dann durchaus hilfreich. Praktische Kleidung oder im Sommer nackt herumlaufen zu dürfen machen es ebenfalls unkomplizierter, auf die Windel zu verzichten und sich an den Toilettengang heranzutasten.
Druck und Strenge haben in der Sauberkeitserziehung hingegen keinen Platz. Im Gegenteil: Jede Form von Stress kann sich kontraproduktiv auswirken und ein Kind, das bereits weitgehend sauber war, beginnt möglicherweise sogar wieder einzunässen oder einzukoten. Aber auch Krankheiten wie Harnwegsinfekte oder Erkältungen können dazu führen, dass Kinder, die schon sauber waren, vorübergehend wieder eine Windel brauchen.
Sauber werden ist ein riesiger Entwicklungsschritt
Tagsüber auf die Windel zu verzichten ist zunächst sicher einfacher als nachts. Denn um in der Nacht die Kontrolle über die Blase zu behalten, braucht es bestimmte hormonelle Voraussetzungen. Bei der Bildung von Urin spielt das sogenannte Adiuretin (kurz: ADH oder antidiuretisches Hormon) eine entscheidende Rolle. Es wird etwa ab einem Alter von zwei bis drei Jahren von der Hirnanhangsdrüse rhythmisch an die Niere abgegeben. Ein gesunder und reifer Körper bildet nachts mehr ADH und drosselt auf diese Weise die Urinbildung. Dieser raffinierte Nachtmodus verhindert, dass nachts die Blase so voll wird, dass man aus dem Schlaf gerissen wird.
Ob ein Töpfchen oder ein kindgerechter Toilettensitz gewählt werden, ist reine Geschmackssache. Beides hat seine Vor- und Nachteile.
- So ist die Anschaffung eines Töpfchens meist günstiger, es kann überall aufgestellt werden und eignet sich besonders gut für junge Kinder. Außerdem ist der Bodenkontakt mit den Füßchen beim Sitzen auf einem Töpfchen garantiert. Dies ist besonders wichtig, um entspannt ausscheiden zu können.
- Toilettensitze sind eher für größere Kinder geeignet, deutlich unkomplizierter zu reinigen und erleichtern den Übergang zur Erwachsenentoilette. Fällt die Kaufentscheidung auf einen Toilettenaufsatz, dürfen die Füße des Kindes, wenn es auf dem Klo sitzt, ebenfalls nicht in der Luft baumeln. Sie brauchen den Kontakt mit einem Treppchen oder einem Schemel.
Mit voller Hose lässt sich leicht stinken
Der richtige Zeitpunkt, um mit der Sauberkeitserziehung zu beginnen, orientiert sich an der individuellen Reife und Bereitschaft eines Kindes.
Die körperlichen Voraussetzungen können gut daran festgemacht werden, ob das Kind Stiegen hinuntersteigen kann, ohne sich anzuhalten. Etwa 80% der „Windelmonster“ streifen rund um ihren vierten Geburtstag die Windel ab.
Entwicklungspsychologisch gesehen sollte die bewusste Steuerung der Ausscheidung – tagsüber und nachts – jedenfalls spätestens im Alter von fünf Jahren erreicht werden. Ist dies nicht der Fall, muss unbedingt der Kinderarzt konsultiert werden.
- Denn Entwicklungsverzögerungen können viele Ursachen haben und sollten beachtet und behandelt werden.
- Wenn hormonelle, körperliche und funktionelle Gründe ausgeschlossen werden können, ist nicht selten eine Wahrnehmungsstörung verantwortlich dafür, dass die Hose immer wieder voll ist. Unterempfindliche Kinder nehmen es nämlich manchmal nicht einmal wahr, wenn warmer Harn bereits über ihre Beine läuft. Vorab die volle Harnblase zu spüren ist für sie eine zu große Herausforderung. Die entsprechende Wahrnehmungsschulung gehört in therapeutische Hände und wird in solchen Fällen dringend empfohlen.
Vergleiche mit Altersgenossen sind in Anbetracht der Komplexität des Vorgangs unangemessen. Dennoch führen Eltern nicht selten einen Wettkampf, welcher kleine „Hosenscheißer“ gerade die Nase vorn hat, wenn es darum geht, den „Thron“ zu besteigen. Kleiner Tipp: Sch… drauf!
Welche Hinweise für den Abschied von der Windel liefert das Kind
- Es will nicht mehr gewickelt werden
- Es zieht sich die Hose immer wieder aus
- Während des Stuhlganges zieht es sich zurück und will ungestört sein
- Sobald die Windel voll ist, meldet es sich und will gewickelt werden
- Das Kind möchte mit Eltern oder Geschwister auf die Toilette gehen
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel