Seit dem positiven Schwangerschaftstest stehen bei Sibylle jeden Tag Früchte auf dem Speiseplan. Im guten Glauben, viele Vitamine und Nährstoffe mit ihrem Baby zu teilen, tappt die werdende Mutter auf diese Weise in die Zuckerfalle. Damit ist sie nicht alleine. Diese und ähnliche Ernährungsfehler passieren Schwangeren nämlich häufig und ganz unbewusst.
Der Zuckeranteil, der in vielen Früchten steckt, wird allzu oft unterschätzt, doch er treibt den Insulinspiegel in die Höhe und steigert das Risiko, in der Schwangerschaft zuckerkrank zu werden. Eine falsche Ernährungsweise ist einer der Gründe für einen sogenannten Gestations- oder Schwangerschaftsdiabetes (GDM). Diese Glukosetoleranzstörung wird erstmals in der Schwangerschaft diagnostiziert; neben einer genetischen Veranlagung spielen vor allem bergewicht und der Lebensstil bei seiner Entstehung eine große Rolle. Zu den wichtigsten Erkrankungsrisiken zählen weiters ein fortgeschrittenes Alter der werdenden Mutter und ein Body-Mass-Index von über 30 kg/m2 vor der Schwangerschaft. Aber auch eine positive Familienanamnese in Bezug auf Diabetes mellitus Typ 2 sollte aufhorchen lassen sowie einige weitere Faktoren aus der Geschichte der Frau: War Diabetes beispielsweise schon in einer vorangegangenen Schwangerschaft ein Thema? Kam es zu Totgeburten oder Fehlgeburten oder hat die Frau schon ein Kind mit einem Gewicht von über 4,5 kg geboren?
OGTT, die süße Provokation
Zur Feststellung der Zuckererkrankung GDM wird zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche routinemäßig ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) durchgeführt. Sibylle steht der Test noch bevor, doch sie weiß schon, was auf sie zukommt: Zuerst wird zur Bestimmung des Nüchternblutzuckers eine Blutprobe genommen, danach muss Sibylle eine süße Lösung aus 75 g Traubenzucker trinken. Zwei Blutabnahmen nach dem Shot werden Aufschluss darüber geben, wie der Körper auf eine so massive Provokation reagiert.
- Ein Gestationsdiabetes liegt bei einem Nüchternblutzucker von über 92 mg/dl oder Blutwerten von über 180 mg/dl bei einer Messung nach 60 Minuten und 153 mg/dl nach zwei Stunden vor.
Frauen mit Adipositas können
ein vier- bis achtmal höheres Risiko haben,
an Gestationsdiabetes zu erkranken, als Normalgewichtige.
Panthermedia/AllaSerebrina
Gesunder Lebensstil ist die beste Prävention
Um den erhöhten Nährstoffbedarf des ungeborenen Kindes decken zu können und dessen Wachstum zu unterstützen, entwickelt die werdende Mutter in der zweiten Schwangerschaftshälfte physiologisch bedingt eine Insulinresistenz. Erklärt werden kann sie durch die hormonellen Veränderungen und die Plazentafunktion.
Im Falle eines Gestationsdiabetes ist der Körper mit diesen komplexen Stoffwechselvorgängen überfordert und der Blutzucker kann nicht ausreichend gedrosselt werden, so dass es zu einem übermäßigen Blutzuckeranstieg im mütterlichen Kreislauf kommt. Da Mutter und Kind über die Nabelschnur eng verbunden sind, löst die vermehrte Zuckerzufuhr beim Ungeborenen eine Überfunktion der Bauchspeicheldrüse (Hyperinsulinismus) aus. Kinder diabetischer Mütter legen im Mutterleib massiv an Körpergewicht zu (Makrosomie). Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Geburtsverletzungen und geburtshilflichen Komplikationen wie hochgradigen Dammverletzungen oder einer schweren Schulterentwicklung, die Mutter und Kind in Gefahr bringen können.
Eine Krankheit, zwei Betroffene
Angaben zur Häufigkeit von Gestationsdiabetes variieren in der Literatur sehr stark. Doch es scheint, als wären etwa 17% aller Schwangerschaften betroffen. Welche Zahl auch immer herangezogen wird, für den Einzelfall ist das Erkennen und Behandeln wichtig. Schließlich hat die Erkrankung immer Auswirkungen auf zwei Menschen:
- Für diabetische Mütter steigt das Risiko, später Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln,
- für die Kinder besteht ebenfalls eine weit überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit, an Diabetes Mellitus Typ 2 oder Adipositas zu erkranken.
Ob diese Folgen rein auf die Diagnose GDM oder auch auf zusätzliche Faktoren wie den Body-Mass-Index der Mutter vor der Schwangerschaft zurückzuführen sind, ist allerdings noch nicht gänzlich geklärt. Glücklicherweise fällt eine Lebensstilberatung gerade in der Schwangerschaft auf fruchtbaren Boden und die meisten betroffenen Frauen halten sich konsequent an den erarbeiteten Therapieplan. Dieser beinhaltet:
- die selbständige Messung des Blutzuckers,
- eine ausführliche Ernährungsberatung,
- gegebenenfalls eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten
- sowie die dringende Empfehlung, mindestens 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche einzuplanen.
Mit eigenständig durchgeführten Blutzuckermessungen kann die Effektivität der Maßnahmen kontinuierlich überprüft werden. Falls die empfohlenen Grenzwerte trotz aller Bemühungen überschritten werden, muss eine medikamentöse Therapie mit Insulin in Betracht gezogen werden.
Sibylle hat genug erfahren. Sie wartet nicht länger mit der Umstellung ihres Lebensstils und greift fortan statt zu Obst vermehrt zur gesünderen Alternative Gemüse. Maximal zwei Portionen Obst und drei Portionen Gemüse stehen nun auf ihrem Speiseplan, den Konsum von Süßigkeiten schränkt sie ein. Um die Bewegungsempfehlungen in ihren Alltag zu integrieren, lässt sie immer öfter das Auto stehen und geht zu Fuß. Auf diese Weise probiert sie schon mal geeignete Wege aus, die sie später gut mit dem Kinderwagen gehen kann.
Für Obst und Gemüse gilt in Bezug auf die Portionengröße die wortwörtliche „Faustregel“: Eine Portion entspricht einem faustgroßen Stück oder einer Handvoll.
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel