RSV-Notstand in den Kinderkliniken
KinderärztInnen in Deutschland und jetzt auch in Wien schlagen Alarm: Immer mehr kleine RSV-PatientInnen liegen auf den Kinder- und Intensivstationen. Was können wir tun, um die Kinder zu schützen?
Was ist RSV?
RSV steht für den englischen Begriff „Respiratory syncytial virus“.
- Dieses Virus ist die Ursache von jährlich mehr als 30 Millionen Atemwegsinfekten und 3 Millionen stationären Aufnahmen weltweit.
- RSV kann über Tröpfchen- (zum Beispiel beim Niesen) und Schmierinfektion (zum Beispiel über kontaminiertes Spielzeug) übertragen werden.
- Das RS-Virus ist sehr infektiös und wird daher leicht übertragen.
Für wen ist eine RSV-Infektion besonders gefährlich?
Prinzipiell können Menschen aller Altersklassen an RSV erkranken, meist sind jedoch Säuglinge und Kleinkinder betroffen.
Nach dem zweiten Lebensjahr war fast jedes Kind einmal an RSV erkrankt, eine einmalige Erkrankung schützt allerdings nicht vor einer neuerlichen RSV-Infektion. Die Virusinfektion kann asymptomatisch, mit leichten Verkühlungssymptomen wie Schnupfen und Husten oder auch mit schwererer Symptomatik verlaufen.
Auch wenn eine RSV-Infektion meist innerhalb von ein paar Tagen komplikationslos abheilt, ist RSV bei Säuglingen und Kleinkindern die häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt aufgrund einer Atemwegserkrankung. Für ältere Kinder und Erwachsene ist eine Infektion meist harmlos.
- Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern kann das RS-Virus neben den oberen Atemwegen auch die unteren Atemwege, genauer die kleinsten Bronchialäste, verlegen. Das kann zu einer schwereren Symptomatik führen, etwa Fieber, Schwierigkeiten beim Atmen oder rasselnde Atemgeräusche sowie Trinkverweigerung.
- Bei Säuglingen kann auch eine eingesunkene Fontanelle ein Anzeichen für eine schwerwiegendere RSV-Erkrankung sein. Dieses Krankheitsbild wird als RSV-Bronchiolitis bezeichnet. Bei Einjährigen ist RSV die häufigste Ursache für Bronchiolitis, aber auch für eine Lungenentzündung. Bei Verdacht auf Bronchiolitis sollte unbedingt ärztlicher Rat eingeholt werden, da sich die Symptome innerhalb kurzer Zeit verschlimmern können.
- Sehr gefährlich, manchmal sogar tödlich ist das Virus für Risikogruppen wie Frühgeborene mit Lungenschädigung oder Kinder mit angeborenen Herzfehlbildungen.
Wie wird eine Erkrankung behandelt?
Es gibt keine ursächliche Therapie für RSV. Das bedeutet, dass eine RSV-Infektion nur symptomatisch behandelt werden kann, etwa mit fiebersenkender Medikation, Flüssigkeitszufuhr und Atemunterstützung. In schweren Fällen kann Atemunterstützung auch Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung und einen Aufenthalt auf der Intensivstation bedeuten.
Um RisikopatientInnen zu schützen, gibt es eine passive Immunisierung mittels eines Antikörpers namens Palivizumab. Das entsprechende Medikament heißt Synagis. Synagis wird RisikopatientInnen in den Risikomonaten einmal monatlich in den Muskel gespritzt.
Wann kommen RSV-Erkrankungen typischerweise vor und was hat sich verändert?
In unseren Breitengraden erkranken Menschen meistens zwischen November und April, mit einem Höhepunkt im Jänner und Februar. Während der Wintermonate des letzten Jahres war die Zahl von RSV-Infektionen allerdings deutlich reduziert, was sich wohl am ehesten durch den Lockdown, Social Distancing sowie Kindergarten- und Schulschließungen erklären lässt. Diese Maßnahmen haben uns nicht nur vor COVID-19 geschützt, sondern auch vor anderen Viruserkrankungen wie RSV.
Im Gegensatz dazu haben dieses Jahr bereits im Juli verschiedene deutsche Gesellschaften für Pädiatrie von untypischen RSV-Einzelfällen in Deutschland berichtet und vor einem Anstieg von RSV-Infektionen in gewissen Ländern (USA, Schweiz, England) gewarnt. Von diesem Anstieg sind vor allem Neugeborene und sehr junge Säuglinge betroffen. Das hat sich in den letzten Wochen und Monaten fortgesetzt.
- Nun wurde empfohlen, die RSVProphylaxe für HochrisikopatientInnen vorzuziehen, die deutschen Gesellschaften für Kinder- und Jugendheilkunde erheben momentan, wie viele Kinder aufgrund von RSV hospitalisiert bzw. auf der Intensivstation sind.
- Außerdem werden schon seit einigen Jahren RSV-Infektionen in den Risikomonaten überwacht, zum Beispiel durch das österreichische RSV-Netzwerk.
Was ist der Auslöser für den Anstieg der Infektionen und was kann jede und jeder von uns zur Verbesserung der Situation beitragen?
Der Grund für den Anstieg der RSV-Infektionen ist vermutlich die Lockerung der COVID-19-Maßnahmen. Darüber hinaus hatten Kinder während der Zeit der strengen Anti-Corona-Maßnahmen keine Möglichkeit, eine Immunität gegen RSV und andere Viren aufzubauen. Noch nicht abschätzbar ist, ob die RSV-Welle aufgrund des früheren Beginns auch früher enden wird, ob sie wie üblich mit April beendet sein oder aufgrund mangelnder Immunität sogar länger andauern wird.
RSV-Infektionen können durch Hygienemaßnahmen vermieden werden, die wir im Zusammenhang mit COVID-19 bereits perfektioniert haben. Aber was kann man noch tun? Es gibt noch keine Impfung gegen RSV, aber es gibt Impfungen gegen Grippe und gegen COVID-19. Alle drei – COVID-19, Grippe und RSV – sind Atemwegserkrankungen, die im Winter Saison haben.
Gründe, sich gegen Grippe und COVID-19 impfen zu lassen, sind nicht nur die Vermeidung einer Erkrankung, sondern auch die Entlastung des Gesundheitspersonals und der Krankenhausstationen und folglich die Vermeidung eines erneuten Lockdowns – unter anderem auch, damit Kinder wieder Immunität aufbauen können und zumindest in Zukunft von RSV-Wellen wie dieser verschont bleiben.
Autor:in:
Dr. med. univ. Valentina Marino-Melán, MSc
Dr. Valentina Marino-Melán ist Ärztin für Kinder- und Jugendheilkunde. Sie verfügt über einen Public Health Hintergrund und hat eine besondere Leidenschaft für globale Mutter-Kind-Gesundheit. Sie verfügt über internationale Erfahrung sowohl…