Keine Generation vor uns hat sich so bewusst und detailliert mit den Abläufen von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett beschäftigt. Frauen wollen zunehmend selbstbestimmt eine Situation mitgestalten, die oft überraschungen bereithält, möchten nicht nur ausgeliefert sein, sondern aktiv entscheiden.
„Weiterempfohlen habe ich die ambulante Geburt schon oft, nachgemacht hat sie mir bis jetzt aber leider noch niemand“, erklärt Susanne Reichart mit einem Schmunzeln. Die 40jährige Vorarlbergerin hat vor rund fünf Jahren ihre erste Tochter im Krankenhaus bekommen und ist nach einer komplikationsfreien Geburt und dem Okay von Gynäkologin und Kinderärztin nur sieben Stunden später wieder nach Hause gefahren.
„Meine Frauenärztin war sofort Feuer und Flamme und hat mich während der ganzen Schwangerschaft in meinem Wunsch bestärkt“, berichtet Reichart und betont vor allem die glückliche Zusammenarbeit mit ihrer Hebamme: „Ich wusste, wer uns zu Hause besuchen würde, wer für meine Tochter Theresa und mich da sein würde. Die Chemie stimmte, durch ihre gelassene, unaufgeregte Art hatte ich großes Vertrauen.“
Ambulante Geburten noch selten
Dass ambulante Geburten hierzulande selten sind, ist nicht nur der Eindruck von Susanne Reichart, sondern belegbar. Die von der Präsidentin des Österreichischen Hebammengremiums, Petra Welskop, zitierten Zahlen aus der Spitalsstatistik 2017 sind eindeutig. Rund 87.000 Kinder wurden in diesem Jahr in Österreich geboren, 98,4 % davon in einem Krankenhaus. Nur 1.387 Frauen haben die Form der ambulanten Geburt gewählt. Die Zahl steigt in den letzten Jahren an, jedoch nur sehr leicht.
Dabei beobachtet Welskop aber einen anderen Trend: „Die Entwicklung geht zu deutlich kürzeren Spitalsaufenthalten. War es vor zwanzig Jahren noch völlig normal, eine Woche nach der Geburt im Krankenhaus zu bleiben, verlassen die meisten Neugeborenen die Station mit ihren Müttern bereits am zweiten oder dritten Tag.“
Die erste Zeit als Familie ist aufregend und besonders, im eigenen Zuhause ist man im Normalfall entspannter, kann diese schönen, aber auch intimen Momente ungestört genießen, den eigenen Rhythmus finden, die Bedürfnisse von Groß und Klein rascher erkennen. Es sind vom Baden bis zum Wickeln nicht wenige Handgriffe zu üben, auch dafür braucht es Ruhe. Diese Entspanntheit gibt vielen Frauen Sicherheit und schützt mitunter auch vor dem gar nicht seltenen „Baby Blues“.
Nicht ohne Hebamme
„Daheim“ bedeutet natürlich nicht „alleine“. Bereits während der Schwangerschaft entscheidet sich die Frau für eine Hebamme, die ab dem ersten Tag der Geburt Hausbesuche (die Kosten dafür übernimmt vollständig die Krankenkasse, vorausgesetzt die betreffende Hebamme verfügt über einen Kassenvertrag) durchführt und nach Mutter und Kind schaut, aktiv hilft und berät. Sie kann schnell reagieren, wenn etwa eine Gelbsucht oder Schwierigkeiten beim Stillen auftreten.
Mit den letzten Änderungen im Mutter-Kind-Pass wurde die Rolle der Hebammen im Vorfeld der Geburt stark aufgewertet. Einfühlsame und kompetente Beratung hilft, Ängste abzubauen und bereitet falls gewünscht auf eine ambulante Geburt vor. Wer rasch wieder nach Hause möchte, sollte gut vorbereitet sein. „Wir empfehlen im Vorfeld zu klären, wie das Kochen, der Haushalt, die Betreuung von Geschwisterkindern geregelt ist“, betont Petra Welskop. Schließlich kommt den Vätern daheim eine wichtige Rolle zu. Auch wenn alles „nach Plan“ läuft: „Der weibliche Körper verändert sich erneut und bewältigt wichtige Rückbildungsprozesse. Die hormonelle Umstellung, Schlafmangel und die Herausforderung einer neuen Situation machen sich auch psychisch bemerkbar“.
Flexibel bleiben
Manchmal hilft jedoch die beste Planung nicht und es heißt, flexibel zu reagieren: Ihre zweite Tochter konnte Susanne Reichart nicht ambulant entbinden. Die Geburt war schwieriger, das Baby zwar kerngesund, sie selbst brauchte jedoch eine Bluttransfusion. „Zur Sicherheit sind wir eine Nacht im Krankenhaus geblieben, bis klar war, ob ich fit genug für den Alltag zu Hause bin“, erzählt die Zweifach-Mama. Doch diese Nacht verlief gut und am nächsten Vormittag konnten Papa und große Schwester die beiden nach Hause bringen, das Leben zu viert in Angriff genommen werden: „Will man diese besonderen Momente in der Kleinfamilie genießen, sind klare Worte notwendig, vor allem, wenn es um Besuche aus der Verwandtschaft geht. Bewirtung gab es keine, nicht einmal ein Glas Wasser, denn das gibt es im Krankenhaus schließlich auch nicht“, steckte Susanne Reichart den Rahmen für sich und ihre Familie klar ab. Eifersucht gibt es zwischen den beiden Mädchen bis heute kaum, die rasche Einbindung der großen Schwester erlebten die Eltern als optimal. Auch wenn ein drittes Kind definitiv nicht mehr geplant ist: Stimmen die medizinischen und organisatorischen Voraussetzungen, würde sich die Vorarlbergerin wieder für eine ambulante Entbindung entscheiden.
Nora Imlau,
Das Geburtsbuch
Vorbereiten – Erleben – Verarbeiten
BELTZ 2016
ISBN 978-3-407-22243-5
Gut informiert in den Kreißsaal Nachschlagen, lesen, abwägen: In ihrem Sachbuch rund um die Geburt hat Nora Imlau fundiert zehn Wege, ein Kind auf die Welt zu bringen, beschrieben. Von der Alleingeburt über eine Hausgeburt, Klinikgeburt bis hin zu verschiedenen Arten des Kaiserschnitts reicht das Spektrum, auch die ambulante Geburt findet Berücksichtigung. Die Selbstbestimmtheit zu Hause erweist sich laut Imlau als großer Vorteil und so beschreibt die Autorin die eigenen vier Wände als „seelischen Schonraum“, in dem Erholung und das Zueinanderfinden als Familie besonders gut funktionieren können. Für Imlau, Journalistin, Autorin und selbst Mutter von drei Kindern, ist Geburt eine Grenzerfahrung: „Ein Erlebnis, bei dem wir über uns selbst hinauswachsen, an dem wir aber auch beinahe zerbrechen können.“ Sie will Frauen unterstützen, selbstbestimmt, gut informiert und offen für Unerwartetes in dieses Erlebnis zu gehen und hat aus diesem Ansatz heraus ein wertvolles Buch geschaffen. Berührende Fotografien in Schwarz-Weiß veranschaulichen das Wunder Geburt.