Eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes sind Ausnahmesituationen. Ängste und Sorgen fallen daher auf fruchtbaren Boden. Achtsamkeitstraining kann dabei helfen, einen selbstbewussten Umgang mit großen Herausforderungen zu finden.
Mia freute sich auf ihr erstes Baby. Bei den medizinischen Checks war stets alles in Ordnung, das Kinderzimmer endlich fertig eingerichtet, und die Zeit des Mutterschutzes stand im Zeichen des Genusses und der freudigen Erwartung.
Bis zur 35. Schwangerschaftswoche schwebte Mia auf rosaroten Wolken, fühlte sich rundum wohl und war zuversichtlich, dass die Geburt super verlaufen würden. Doch dann häuften sich Aussagen von Freunden und Fremden, dass ihr Schwangerschaftsbauch besonders groß aussehe und sie wohl einen echten Wonneproppen bekommen würde.
Mit jeder dieser Bemerkungen wuchsen Mias Zweifel: Wird sie der Geburt gewachsen sein und ihr Baby gesund auf die Welt bringen? Verspannungen saßen ihr im Nacken, schlaflose Nächte machten ihr zu schaffen. Mia verlor fast gänzlich ihr Vertrauen, gebären zu können. Glücklicherweise kam sie am Tiefpunkt ihrer Zweifel und Ängste mit dem Thema Achtsamkeitstraining in Berührung. Es versprach, in angstvollen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Und ja, genau das wollte sie.
Ein besonders hohes Gut ist das Vertrauen in die eigene Fähigkeit des Gebärens – den Mut, über die eigenen Grenzen zu gehen, und die weibliche Kraft, die all das möglich macht.
Moment, jetzt nicht abschweifen!
Achtsamkeitstraining ist eine wirksame Methode, um die Konzentration auf den Moment zu lenken, ohne dabei zu versuchen, ihn zu verändern. Schlichte Fragen reichen aus, sich auf die Gegenwart zu fokussieren: Was passiert gerade? Wie fühle ich mich? Was sehe und höre ich? Spüre ich Wind oder Sonne auf meiner Haut? Welchen Geruch nehme ich gerade wahr?
Pionier des Achtsamkeitsprinzips ist der US-Amerikaner Jon Kabat-Zinn, der Inhalte der modernen Medizin mit solchen des Buddhismus verknüpft hat. Der emeritierte Professor für Molekularbiologie (University of Massachusetts Medical School in Worcester) definiert Achtsamkeit als die absichtsvolle, bewusste und nicht wertende Lenkung der Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick.
Einen Zusammenhang zwischen Geist, Emotionen und körperlichen Auswirkungen feststellend, geht er davon aus, dass die eigene Wahrnehmung und Emotionen den Körper steuern. Der Gründer der Mindfulness Based Stress Reduction („Stressbewältigung durch Achtsamkeit“, MBSR) hat ein Programm entwickelt, das Achtsamkeitstechniken zur Stressbewältigung und zur Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens nutzt. Durch geführte Meditationen und gezielte Übungen wird die Aufmerksamkeit geschult, um das Stresslevel zu senken.
Angst ist eine Zuspitzung von Stress. Immer, wenn uns Angst überkommt, reagiert der Körper daher mit Stresssymptomatik. Das ist grundsätzlich ein wunderbarer Mechanismus, um den Körper in lebensbedrohlichen Gefahrensituationen flucht- oder kampfbereit zu machen. Blitzschnell wird das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet und der Sympathikus, ein wichtiger Player unseres Nervensystems, aktiviert. Durch dieses Zusammenspiel werden Gefäße enger gestellt und mehr Blut durch sie gepumpt. Die Muskulatur erhält das Signal, sich gegen einen Angriff zu wappnen.
So lebensnotwendig das ist, so schwierig wird es, wenn diese Kaskade ohne echte Bedrohung ausgelöst wird – wenn sich immer wieder Gedanken selbstständig machen und dazu neigen, in die Zukunft zu galoppieren, oder emotionale Belastungen aus der Vergangenheit ins Spiel kommen.
Die Atmung ist eine wertvolle Begleiterin
Während des Geburtsprozesses ist das nicht ungewöhnlich. Beispielsweise, wenn das Geburtsgeschehen anders kommt als geplant, Leute den Geburtsraum betreten, die man zuvor noch nie gesehen hat, oder Eingriffe notwendig sind, über die zu wenig aufgeklärt wurde. Kommt der Körper, obwohl der Kopf es besser weiß, also auf Touren, geht es mitunter um die richtige Einschätzung der Situation: Ist diese Situation gefahrenvoll oder beängstigt sie mich, weil sie mir unbekannt ist? Empfinde ich vielleicht Unbehagen, weil mir die Umgebung fremd ist … oder die Menschen, die um mich herum sind?
Oft liegt es tatsächlich an diesen äußeren Faktoren. Es ist daher wichtig, für die Geburt den richtigen Ort auszuwählen und sich im Vorfeld mit ihm vertraut zu machen. Einen Geburtsplan zu schreiben ist ebenfalls eine gute Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen, Ängsten, Bedürfnissen und Wünschen. Auch die Begleitperson spielt rund um die Geburt eine große Rolle. Sie sollte Geborgenheit geben, gut kommunizieren können und einen sicheren Hafen bieten.
Eine lebensnotwendige und treue Begleiterin – übrigens über unser ganzes Leben hinweg – ist die Atmung. Obwohl sie zu unserem unwillkürlichen Nervensystem gehört, können wir sie gezielt ansteuern. Bewusstes Atmen kann wunderbar in die Entspannung führen, wenn eine Woge der Angst anrollt.
- Mit langgezogenen Ausatemzügen kommt Ruhe ins System.
- Doppelt so lange aus- wie einzuatmen hilft. Wenn man dabei die Sekunden zählt, ist das Gehirn beschäftigt. Das verdrängt alle Gedanken, die gerade Angst machen.
Angst ist eine wertvolle Beraterin, die uns wachsam macht und vor Gefahren schützen möchte. Eine ausgewogene Balance zwischen Anspannung und bewusster Entspannung ist ein wichtiger Schlüssel, um herausfordernden Situationen gelassener gegenüberstehen zu können.
5 Tipps gegen Angst
TIPP 1
Umgebung wahrnehmen Lenke deine Konzentration auf fünf Dinge in der Umgebung. Suche beispielsweise weiche Gegenstände, grüne Dinge oder Gegenstände, die Geräusche machen können.
TIPP 2
In Bewegung bleiben Bewegung kann dir dabei helfen, handlungsfähig zu bleiben. Versuch’s mal mit Beckenkreisen, Treppensteigen oder einem flotten Tänzchen. Alles, was dich ablenkt, ist willkommen.
TIPP 3
Atemtechniken Die Bauchatmung beruhigt deinen Körper und gibt ihm das Gefühl, in Sicherheit zu sein.
TIPP 4
Entspannungsübungen Deinen Körper bewusst – Körperteil für Körperteil – zu entspannen, bringt dich zur Ruhe.
TIPP 5
Liebe deine Beats Herzklopfen und Atmung sind lebensnotwendig. Dir bewusst zu machen, dass sie sich bei Anstrengung beschleunigen, hilft dir, dich in einer Stresssituation nicht von den eigenen fetten Beats bedroht zu fühlen.
Buchtipp
MINI MUM
Babybauch und Bauchgefühl
von Katharina Wallner
Kremayr & Scheriau 2024
ISBN 978-3-21801-376-5