Spontangeburt oder Kaiserschnitt: Ein offener Blick in den Kreißsaal
Spontane Geburt oder Kaiserschnitt – kaum etwas wird unter werdenden Eltern so emotional und kontrovers diskutiert. Wir haben mit Expertinnen und Betroffenen gesprochen, die sich mit der Thematik Entbindung auseinandersetzen.
Medizinische Perspektive: Vor- und Nachteile beider Geburtsmethoden
Hinschauen, auch dahin, wo es unangenehm werden könnte, das rät Brigitte Welzl, Gynäkologin aus Wien, ihren Patientinnen: „Viele Frauen tragen eine rosarote Brille, wenn es um das Thema Geburt und mögliche Komplikationen geht. Dabei muss, wer selbstbestimmt gebären will, auf Basis der Fakten gut beraten sein und darf nicht ausklammern, was nicht der Wunschvorstellung entspricht.“ Es ist ihr daher ein Anliegen, neutral über Vor- und Nachteile von vaginaler Geburt und Kaiserschnitt zu informieren.
Denn tatsächlich gibt es Pros und Contras auf beiden Ebenen, sowohl für die Mutter als auch für das Kind: „Die vaginale Geburt ist ein natürlicher Prozess, der es der Mutter im Normalfall ermöglicht, relativ rasch für ihr Kind zu sorgen. Dieses ist durch den Geburtsprozess besser an die Umgebung adaptiert, ja, auch weil es anstrengend ist. Die fehlende Planbarkeit und vor allem die Schmerzen sind ein Thema, denn nicht immer läuft alles bilderbuchmäßig und Geburtsverletzungen können nicht ausgeschlossen werden.“
Natürlich gibt es Risikofaktoren, die bei der Anamnese erhoben werden. Erkrankungen wie Diabetes, Epilepsie, Bluthochdruck oder eine vorangegangene Schwangerschaftsvergiftung sind zu nennen und legen unter Umständen einen Kaiserschnitt nahe. „Dieser erspart der Mutter den unmittelbaren Geburtsschmerz und selbstverständlich ist die Planbarkeit teilweise ein Argument. Dass sich das Kind nicht durch den engen Geburtskanal quälen muss, ist ein Punkt, den Hebammen nicht unbedingt gelten lassen, aber ich möchte ihn nennen“, erläutert Brigitte Welzl.
Auch beim Kaiserschnitt ist ein kritisches Hinsehen sinnvoll: „Er ist ein operativer Eingriff, verbunden mit einem gewissen Narkose- und Operationsrisiko. Die Zeit danach kann Schwierigkeiten machen, bis das Kind ausreichend adaptiert und die Frau wieder mobil ist.“
Kaiserschnittrate und medizinische Indikationen
Einen „Trend zum Kaiserschnitt“ kann die Wiener Gynäkologin nicht ausmachen: „Ja, die Rate steigt leicht an in Österreich, aber es gibt Länder, wie etwa Indien, da ist sie drastisch höher. Wenn Frauen selbst über ihren Körper bestimmen wollen und sich für einen primären Kaiserschnitt entscheiden, dann finde ich das auch ganz gut so.“
Dass diese Form der Geburt für Ärztinnen und Ärzte am einfachsten ist, daraus macht Brigitte Welzl ebenfalls keinen Hehl: „Wenn Frauen klar über Vor- und Nachteile aufgeklärt wurden, dann muss man ihnen zugestehen, selbst zu wählen.“ Darüber hinaus nennt sie medizinische Faktoren, die einen Kaiserschnitt unumgänglich machen: eine Plazenta praevia oder ein Dammriss 3. Grades bei einer vorangegangenen Geburt. Liegt eine Beckenendlage beim Kind vor, wird routinemäßig ein Kaiserschnitt gemacht, schließlich fehlt in den meisten Krankenhäusern schlicht und einfach die Erfahrung, hier spontan zu entbinden.
Wenn die Realität von der Traumgeburt abweicht
Dass trotz guter Voraussetzungen die Realität einer Geburt oftmals anders verläuft, das weiß Franziska Jauernik, Mutter von zwei Söhnen und selbst Ärztin in Bayern: „Persönlich würde ich immer eine natürliche Geburt wählen, bin aber sehr dankbar für die Möglichkeit einer Sectio im Notfall. Unter der Geburt meines zweiten Kindes gab es Bradykardien (Anm. zu langsamer Herzschlag des Kindes), der Geburtsvorgang musste gestoppt und ein Kaiserschnitt gemacht werden. Ich bin sehr froh darüber, in der heutigen Zeit mein und das Leben meines Kindes nicht gefährden zu müssen.“
Dass sie danach mit Unannehmlichkeiten zu kämpfen hatte, daraus macht Franziska Jauernik kein Geheimnis: Schwierigkeiten, sich aufzurichten aufgrund der Durchtrennung der Muskulatur, Übelkeit und Erbrechen beim Nähen des Bauchfelles und ein verlegter Blasenkatheter decken sich nicht mit romantischen Vorstellungen.
Geburtstrauma: Ursachen und Folgen
Noch schwieriger ist die Situation, wenn die Geburt zur traumatischen Erfahrung wird. Dafür macht Brigitte Welzl vor allem drei Faktoren verantwortlich: „Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und dem, was dann letzten Endes passiert, kann riesengroß sein. Wenn es zu schweren Rissen und großen Schmerzen, verbunden mit der Verweigerung einer PDA durch das medizinische Personal, kommt, dann ist das ebenso problematisch wie die Anwendung des Kristellerhandgriffes, bei dem Verletzungen passieren können. Schließlich ist der Einfluss der Kommunikation zwischen Hebamme und Gebärender ebenso nicht zu unterschätzen.“
Eine Balance zu finden, zwischen dem Nehmen von Ängsten und dem ehrlichen Aufklären von Schwangeren, benötigt viel Sensibilität: „Es gibt so viele Bücher, Sendungen, wo Ängste geschürt werden. Hier ist es sinnvoll, eine gute Hebamme zu suchen, als allerwichtigste Ansprechpartnerin.“
Gewalt im Kreißsaal: Ein unterschätztes Problem
Sonja Schösser-Wurzer ist Klinische und Gesundheitspsychologin aus Völs in Tirol und hat sich nach langjähriger Erfahrung im Krankenhausbereich 2009 als Therapeutin selbständig gemacht. Mit Frauen aus Deutschland und Österreich, aber auch mit Hebammen und ÄrztInnen, arbeitet sie vor und nach einer Geburt. Viele von ihnen sind traumatisiert: „Gewalt im Kreißsaal etwa ist ein Thema, das rund jede dritte Frau betrifft, auch wenn sie nicht immer gleich als solche erkannt wird.“
Die Expertin für Geburts- und Traumaverarbeitung weiß, wie essentiell das Erlebte in dieser hochsensiblen Phase ist und auf unser weiteres Leben, auf die Einstellung zu Mutterschaft wirkt: „Auch nach einer schwierigen Geburt verschwinden Frauen völlig hinter ihrem Kind und dessen Bedürfnissen. Was sie mitgemacht haben, wird kleingeredet, ignoriert.“ Traumatisiert zu sein heißt aber, zu den eigenen Emotionen keinen Zugang zu finden, von einer Situation, in der man ausgeliefert und fremdbestimmt war, die man nicht einfach verlassen konnte, nachhaltig überwältigt zu sein. Die Gefahr ist für die Psyche noch nicht vorbei, die Frau bleibt in einer Art „Habtachtstellung“, ständig auf der Hut.
Selbstbestimmte Geburt: Was sich ändern muss
Und doch wären Traumatisierungen auch bei schwierigen Bedingungen vermeidbar: „Es geht um respektvolle und liebevolle Begleitung, darum, eine Frau mitzunehmen bei notwendigen medizinischen Entscheidungen. Wenn die Psyche nicht mehr mitkommt, kann das traumatisierend wirken. Was kein Zeichen von Schwäche ist. Frauen sind unglaublich stark, und was belastend wirkt, ist unterschiedlich. Frauen kommen mit all ihrer Lebenserfahrung, zu vergleichen ist ein Unding.“
Nur „darüber zu reden“ kann übrigens zu einer Retraumatisierung führen. Manchmal ist professionelle Hilfe in Form von Therapie unerlässlich; und regelmäßige Supervision für das medizinische Personal etwas, was sich Sonja Schösser-Wurzer dringend wünscht: „Die patriarchalen Strukturen, der immense Druck in vielen Spitälern stehen in einem diametralen Gegensatz zu den Abläufen einer natürlichen Geburt. Will man dem zwischenmenschlichen Versagen, der Überforderung den Kampf ansagen, muss man am System, an der Ausbildung einiges verändern und allen Seiten Unterstützung bieten. Wer Empathie und Mitgefühl verliert, weil die Arbeitssituation problematisch ist, kann Frauen nicht gut begleiten.“
Interventionskaskade und das Recht auf Selbstbestimmung
Lena Högemann, deutsche Journalistin, Podcasterin und Moderatorin aus Berlin, hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet und dafür mit 50 Frauen und Männern gesprochen. Sie setzt sich ein für eine selbstbestimmte Geburt, die auch in Kliniken möglich sein muss. Immerhin kommen hier rund 98 Prozent aller Kinder zur Welt. „Eine Geburt ist an und für sich schon ein krasses Erlebnis, aber wenn Frau dann auch noch gegen ein medizinisches System ankämpfen muss, das ebenfalls sehr unter (Kosten-)Druck steht, unter Personalmangel leidet, dann kann es zu vermeidbaren Komplikationen kommen.“
Lena Högemann weist unter anderem auf die Diskrepanz rund um das Thema Kaiserschnitt hin: „Wir haben in Deutschland eine Kaiserschnittrate von rund 30 Prozent, nur etwa die Hälfte davon ist medizinisch notwendig. Wird jedoch zu früh in die Geburt eingegriffen, man nennt das Interventionskaskade, dann macht dies oft weitere Abweichungen von einer natürlichen Geburt unumgänglich. Auf der anderen Seite aber müssen sich Frauen, die von sich aus eine Sectio wünschen, oft rechtfertigen und haben einen schwierigen Weg vor sich. Das ist absurd.“
Lena Högemann verweist auf die „Leitlinie für die vaginale Geburt am Termin“, die auch in Österreich gilt und die jede Frau kennen sollte. Gut informiert lässt sich gezielter ein Krankenhaus auswählen und nachfragen, sogar noch während der Geburt. Was die Journalistin jeder Frau mit auf den Weg geben will: „Du bist nicht schuld, wenn etwas nicht nach Plan läuft, du kannst nichts dafür. Schuld ist in vielen Fällen das System, das nicht auf eine selbstbestimmte Geburt ausgerichtet ist.“
Lena Högemann hat ein zweites Kind bekommen. Sonja Schösser-Wurzer auch. Nicht ohne Schmerzen. Aber selbstbestimmt. Und hervorragend begleitet.
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Zur Person Mag.a Mirjam Dauber ist Lehrerin, freie Journalistin und Rezensentin. https://blaetterwald.at/ Aktuelle Artikel Bildquellen Kaiserschnitt_Smarterpix_NataliaD_458968490-XL_NM_2-2025_2560x1700: Smarterpix/NataliaD
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