Fehlgeburt versus Wunder der Geburt
Sehr hohe Fallzahlen belegen die große Wahrscheinlichkeit, im Laufe der Familienplanung von einer Fehlgeburt betroffen zu sein. Dennoch fühlen sich betroffene Frauen oft alleingelassen und suchen die Schuld zunächst bei sich.
Die Entstehung eines Kindes ist ein großes Wunder. Kaum jemand würde sich daher anmaßen, sich ihr Gelingen als eigenes Verdienst zuzuschreiben. Umso erstaunlicher, dass umgekehrt viele Frauen glauben, sie seien für eine Fehlgeburt selbst verantwortlich. Denn auch wenn man im Wort „Fehlgeburt“ den Bestandteil Fehler erkennen könnte, liegt die Ursache für das vorzeitige Ende einer Schwangerschaft mit Sicherheit nicht auf Seiten der Frau, die diesen Verlust gerade erlebt. Im Gegenteil: Ihr Körper funktioniert ausgezeichnet und hat sich, getreu dem „Alles-oder-nichts“-Prinzip, sicher aus guten Gründen gegen diese Schwangerschaft entschieden. Die Natur folgt dabei nämlich einer sehr strengen Ordnung: Nur wer stark und robust genug zum überleben ist, bekommt eine Chance.
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Hebammenbetreuung bei Fehlgeburt nach der 18. Schwangerschaftswoche
Fehlgeburt – Statistik
Wenn man die Zahl der Fehlgeburten unvoreingenommen betrachtet, fällt auf, dass der subjektive Eindruck vieler Frauen, mit diesem Thema allein zu sein, keineswegs der Realität entspricht. Denn etwa die Hälfte bis nahezu 70% aller Schwangerschaften enden vorzeitig.
Von einer Fehlgeburt spricht man, wenn das Gewicht des leblosen Embryos oder Fötus unter 500 Gramm liegt. Ab einem Gewicht von einem halben Kilogramm wird das Kind als Totgeburt gezählt und standesamtlich beurkundet.
- Insbesondere wenn es in der ersten Phase der Zellteilung zu gravierenden Problemen kommt, entwickelt sich das Zellhäufchen, das aus der miteinander verschmolzenen Ei- und Samenzelle entstanden ist, nicht mehr weiter. In den meisten Fällen haben Frauen zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal bemerkt, dass sie schwanger waren.
Bereits vor der Einnistung in die Gebärmutter geht die Schwangerschaft mit einer Blutung, deren Stärke sich mit der Menstruation vergleichen lässt, wieder ab. Das kommt, mit rund 30% aller Fehlgeburten, relativ häufig vor. - Schwangerschaftsabgänge nach der Einnistung – also etwa eine Woche vor dem erwarteten Beginn der nächsten Periode – treten ebenso oft auf.
- Mit etwa 10% ist die Zahl der Fehlgeburten zu einem Zeitpunkt, an dem die Schwangerschaft bereits festgestellt wurde, vergleichsweise gering.
Die Ursachen bleiben aber auch in diesen Fällen meist unklar und reichen von hormonellen oder anatomischen Hindernissen bis hin zu Entwicklungsstörungen oder Problemen der fetoplazentaren (den Mutterkuchen betreffenden) Einheit.
Ein zu frühes Ende ist meist ein zufälliges und spontanes Ereignis, das in vielen Fällen aber eine traurige Leere, Selbstzweifel und Schuldgefühle hinterlässt.
DDr. med. Mag. phil. Bettina Wendl ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Psychologin und Psychotherapeutin mit dem Fachschwerpunkt psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe. Zu ihrem Betreuungsangebot gehören die ärztliche und therapeutische Begleitung im Zusammenhang mit unerfülltem Kinderwunsch.
Womit haben Frauen nach einer Fehlgeburt besonders zu kämpfen?
DDr. Wendl: Sehr viele Frauen beschäftigt tatsächlich die initiale Frage, ob sie ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das zur Fehlgeburt geführt hat. Ich bekomme oft zu hören, dass Frauen denken, sie seien beispielsweise zu lange auf dem Bauch gelegen oder hätten zu heiß gebadet. Meist beginnt meine Beratung daher mit einer medizinischen Aufklärung über die komplexen Prozesse im Körper, die beinharten Selektionsmechanismen der Natur und mit einer deutlichen Entlastung, kein Fehlverhalten an den Tag gelegt zu haben.
Gibt es Voraussetzungen, die dabei helfen, das Erlebte besser zu verarbeiten?
DDr. Wendl: Es hilft, wenn ein Vertrauen in den eigenen Körper besteht, naturwissenschaftliche Erklärungen auf fruchtbaren Boden fallen oder Frauen bereits Kinder geboren haben. Die Erfahrung, dass eine Schwangerschaft und Geburt schon einmal einen glücklichen Ausgang gefunden hat, ist etwas sehr Tröstliches. Kommt es hingegen auf dem Weg zum ersten Kind zu Schwierigkeiten oder einem Abbruch, beschreiben Frauen immer wieder ein Gefühl des Unvermögens und die Sorge darüber, ob sie je ein Kind werden austragen können. Selbstzweifel und Selbstwertprobleme können die Folge davon sein und sollten therapeutisch aufgearbeitet werden.
Während die einen in eine Lebenskrise stürzen, gehen andere scheinbar zur Tagesordnung über. Gibt es tatsächlich Frauen, die das Thema sehr pragmatisch und nüchtern sehen?
DDr. Wendl: Ja, natürlich gibt es auch jene, die einen sehr natürlichen Zugang haben und in Erklärungen wie „Es hat nicht sollen sein“ oder „Vielleicht klappt es beim nächsten Mal“ Halt finden. So wie andere Krisen wird auch diese entsprechend der eigenen Persönlichkeitsstruktur und mithilfe individueller Strategien bewältigt.
Bemerken Sie einen Unterschied zwischen jungen und älteren Frauen im Hinblick auf die Verarbeitung eines unerfüllten Kinderwunsches?
DDr. Wendl: Emotionale Kompetenz ist keine Frage des Alters. Reifere Frauen können aber manchmal aufgrund ihrer Lebenserfahrungen auf eine größere Fülle bewährter Strategien zurückgreifen. Problematisch wird es vor allem, wenn Frauen ihr Lebensglück zu stark von einem Kind abhängig machen. Dann stellt sich die Frage, warum dieses Thema so vorrangig ist, was alles von diesem Kind abhängt und ob es keine anderen Lebensinhalte gibt. Ist dem so, ist es wichtig, neue Perspektiven zu finden und den Druck erst mal etwas rauszunehmen.
Gehen Männer anders mit dem Thema um als Frauen?
DDr. Wendl: Viele Männer haken das Thema schneller ab. Denn meist herrscht bei ihnen gerade in den ersten Wochen noch keine so große emotionale Beteiligung. Das ist naturgemäß bei Frauen anders, weil sie schon ab dem positiven Schwangerschaftstest in freudiger Erwartung sind und der Körper sich zu verändern beginnt. Wenn für den Mann das Thema sehr viel schneller abgeschlossen oder der Zugang ein gänzlich anderer ist, wird das von Frauen durchaus als Kränkung empfunden.
Was kann getan werden, um das Erlebte möglichst gut und zeitlich angemessen zu verarbeiten?
DDr. Wendl: Es ist hilfreich, die Situation als Krise anzuerkennen und nicht sofort wieder im Alltag zu versinken. Manche Familien finden Trost im Glauben, an einem besonderen Ort oder indem sie besondere Andenken wie etwa die ersten Ultraschallbilder fein säuberlich aufbewahren. Andere suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten oder das Gespräch mit der Familie und mit Freunden.
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel