Kleine Geschöpfe mit großem Lebenswillen
Babys, die als Frühchen viele Wochen vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen, markieren oft einen emotionalen Wendepunkt für ihre Eltern. Denn diese kleinen Lebewesen stehen vor einer großen körperlichen Anpassungsleistung und wachsen erst langsam in das Leben außerhalb der Gebärmutter hinein.
Definition
Je früher eine Schwangerschaft zu Ende geht, umso unreifer ist ein Baby in der Regel bei seiner Geburt. Babys, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt die 37. Schwangerschaftswoche noch nicht vollendet haben, werden als Frühgeburten oder Frühchen bezeichnet.
- Medizinisch ist es heute möglich, Frühchen schon ab etwa der 24. Schwangerschaftswoche am Leben zu erhalten. Das klingt unglaublich, denn zu diesem Zeitpunkt beträgt das Körpergewicht nur etwa 500 Gramm und die inneren Organe und Augen sind noch sehr unreif.
- Frühgeborene, die nach der 28. Schwangerschaftswoche geboren werden und eine intensivmedizinische Betreuung erhalten, haben eine bessere Überlebenschance und seltener langfristige gesundheitliche Probleme als extrem früh geborene Babys.
- Sogenannte „späte Frühchen“, die ab der 34. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, unterscheiden sich meist nur wenig von reif geborenen Kindern.
In einem Inkubator, umgangssprachlich als Brustkasten bekannt, bleiben Frühgeborene, bis sich ihre Organfunktionen stabilisiert haben und sie ihre Körpertemperatur selbständig halten können.
Lungenreife für einen besseren Start
Frühgeborene brauchen intensivmedizinische und pflegerische Betreuung. Ein Krankenhaus mit einer Neonatologie ist dafür unbedingt erforderlich. Denn Frühchen stehen häufig Herausforderungen gegenüber, die sich durch ihr unvollständig entwickeltes Verdauungssystem, Probleme mit der Temperaturregulierung und Komplikationen aufgrund ihrer unreifen Lungen ergeben.
Die meisten Frühgeburten sind die Folge vorzeitiger Wehen, manchmal mit und manchmal ohne Blasensprung, die beispielsweise durch Infektionen, Entzündungen oder Gefäßerkrankungen ausgelöst werden. Schwangere mit Anzeichen für eine Geburt vor der 34. Schwangerschaftswoche bekommen im Idealfall eine Injektion mit Kortikosteroiden, mit deren Hilfe die Lungen des Babys vorzeitig gereift werden. Am wirksamsten ist diese Therapie, wenn der werdenden Mutter zwei Dosen im Abstand von 24 Stunden gegeben werden können, bevor ihr Baby auf die Welt kommt. Die initiierte Lungenreife verbessert die Überlebenschancen und Gesundheitsaussichten des Frühgeborenen, da auf diese Weise die Produktion des sogenannten „Surfactant“ vorzeitig stimuliert wird. Diese einzigartige Substanz wird erst etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche von spezialisierten Zellen in den Lungen produziert und reduziert die Oberflächenspannung in den Lungenbläschen, damit sie sich entfalten und ausdehnen können.
Bei Frühgeborenen besteht daher ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Surfactant-Mangel, der zu einem Atemnotsyndrom führen und Grund für eine Beatmung sein kann. Da eine maschinelle Beatmung jedoch mit dem Risiko einer erhöhten Infektionsgefahr und Langzeitschäden für die Atemwege verbunden ist, werden wenn möglich andere Methoden bevorzugt. Um die Atmung zu unterstützen, kann Sauerstoff
- über eine Nasenbrille verabreicht
- oder können die Atemwege durch die Verwendung eines CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) offen gehalten werden.
Beim Känguruhen genießt das Frühchen intensiven Hautkontakt. So wird dem zarten Wesen besondere Nähe und Wärme gespendet.
Um die Bindung zu ihrem Baby zu unterstützen, werden Eltern
während der oft wochenlangen Zeit der intensivmedizinischen
Betreuung in der Klinik in die Pflege ihres Kindes eingebunden
und verbringen meist viel Zeit mit Kuscheln.
Wachsen und Gedeihen
Eine noch viel einfachere Methode zeigt ebenfalls eine gute Wirkung. Beim „Känguruhen“, angelehnt an ein Kängurubaby, das im Beutel seiner Mama reift, bis es selbständig lebensfähig ist, liegt das Baby nur mit einer Windel bekleidet auf dem nackten Brustkorb eines Elternteils oder Geschwisters. Die Atmung und die Herzfrequenz sind in dieser geborgenen Situation messbar besser, die Körpertemperatur und der Schlaf des Babys stabilisieren und verbessern sich, das Immunsystem wird gestärkt, das Infektionsrisiko gesenkt und das Frühchen nimmt besser an Gewicht zu.
Ein Baby, das noch über die Plazenta ernährt würde, wäre es nicht frühzeitig geboren worden, kosten Saugen, Schlucken, Verdauen und Wachsen viel Kraft und Energie. Daher werden sehr frühe Frühgeburten oft mit Hilfe von Infusionen und Sonden ernährt, bevor sie in der Lage sind, selbständig zu trinken. Von der Reife des Frühchens hängt auch ab, ob es Milch verdauen kann oder zunächst eine leichtverdauliche Spezialnahrung mit reichlich Kalorien und Nährstoffen erhält, bevor schließlich Muttermilch zur perfekten Nahrung wird.
Um das Krankenhaus verlassen zu dürfen, muss das Baby in der Lage sein, selbständig zu atmen, seine Körpertemperatur zu halten und die empfohlene Tagesration an Nahrung selbst zu trinken. Ob das die Milch seiner Mama ist, gespendete Muttermilch oder eine Spezialnahrung für Frühgeborene – Hauptsache, das Baby gedeiht gut und nimmt 20 bis 30 Gramm pro Tag zu.
Meilensteine feiern
Eine Frühgeburt ist für die Eltern in der Regel eine äußerst belastende Erfahrung. Ängste und Sorgen, wie sich das Baby entwickeln wird, begleiten Betroffene meist über viele Wochen. Das fordert seinen Tribut. Denn mit dem Leben am Klinikbettchen müssen der Alltag, das Arbeitsleben und/ oder die Versorgung von Geschwisterkindern unter einen Hut gebracht werden.
Familien mit einem Frühchen brauchen besondere Unterstützung und Betreuung. Einerseits durch medizinisches Personal, andererseits auch durch liebevolle Familienmitglieder oder einen engagierten Freundeskreis. Die Verbindung zu einer Selbsthilfegruppe kann ebenfalls von unschätzbarem Wert sein. Denn gerade in einer derart herausfordernden Lebenssituation dürfen die eigenen Bedürfnisse und notwendigen Ruhephasen nicht aus den Augen verloren werden. Der Austausch mit Gleichgesinnten wird oft als große Entlastung erlebt.
Außerdem empfiehlt es sich, Meilensteine festzulegen und sie ausgiebig zu feiern. Es ist schließlich definitiv eine Feier wert, wenn das Frühchen mehr und mehr zunimmt und eine wichtige Gewichtsgrenze knackt, das erste Mal selbständig trinken kann – vielleicht sogar von der Brust der Mutter – und schließlich aus dem Krankenhaus entlassen wird und endlich zu Hause sein darf.
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel