Wachsen & Gedeihen
Perzentilen sind statistische Kurven, und Normabweichungen bringen Eltern leicht ins Schleudern. Doch Vergleiche mit Altersgenossen dienen nur der groben Orientierung. Wie steil soll die Gewichtskurve eines Babys tatsächlich verlaufen und was hat es mit Wachstumsschüben auf sich?
Auf Geburtsanzeigen verkünden Eltern neben dem Namen ihres neuen Familienmitglieds auch seine Geburtszeit, die Größe und das Gewicht. Ein großes, kräftiges Kind wird mit Vitalität und Gesundheit assoziiert, ein zartes oder kleines Neugeborenes wirkt hingegen schutzbedürftig und verletzlich. Und tatsächlich: Das Ausgangsgewicht eines Kindes sagt etwas über zukünftige gesundheitliche Risiken aus. Die gibt es sowohl für über- als auch für Untergewichtige.
Ein hohes Geburtsgewicht (über 4.000 Gramm) bringt beispielsweise ein erhöhtes Risiko für komplikationsreichere Geburten mit sich und verdoppelt die Wahrscheinlichkeit, im späteren Leben übergewichtig zu werden. Aber auch besonders leichte Kinder leiden paradoxerweise häufig zeitlebens an übergewicht. Die Gründe für ein sehr geringes Geburtsgewicht (unter 2.500 Gramm) können Mehrlingsschwangerschaften, Infektionen oder Nikotinmissbrauch der Mutter sein. über 80% aller Kinder gelten glücklicherweise bei ihrer Geburt als normalgewichtig und bringen zwischen 2.500 und 3.999 Gramm auf die Waage.
Wiege- und Gedeihkontrollen
Nach der Geburt nimmt jedes Baby erst einmal ab. Im Vergleich zu der Menge, die es zu sich nimmt, hat ein Neugeborenes nämlich reichliche Ausscheidung. Das sogenannte Kindspech (Mekonium), das sich während der Schwangerschaft ansammelt, wird bis zum vierten Lebenstag als klebrige Masse ausgeschieden.
- Dieser grünliche bis schwarze frühkindliche Stuhl enthält Lanugohaare, Hautzellen und Körpersekrete und ist der Hauptgrund für den Gewichtsverlust in den ersten Lebenstagen.
- Das Baby sollte jedoch nicht mehr als 7% seines Ausgangsgewichts verlieren und etwa ab dem dritten Lebenstag langsam wieder mit der Gewichtszunahme beginnen.
Die Muttermilch wird Tag für Tag mehr und so sollte nach zwei Wochen das Geburtsgewicht wieder erreicht werden. Eine stärkere Gewichtsabnahme in den ersten Lebenstagen oder eine sehr schleppende Zunahme sind in der Regel ein Hinweis auf Stillschwierigkeiten, Saugprobleme oder auf eine mangelnde Milchproduktion. Gut, wenn Mütter in solchen Fällen professionelle Stillhilfe einer Hebamme oder Stillberaterin in Anspruch nehmen. Denn fast jedes Stillproblem lässt sich beheben und das Baby gedeiht dann meist ganz wunderbar ohne zusätzliche künstliche Säuglingsnahrung.
Perzentilenkurven
Um das Wachsen und Gedeihen gut im Auge zu behalten, werden regelmäßige Gewichts- und Wachstumskontrollen in einer kinderärztlichen Praxis empfohlen. Die Messergebnisse werden dann in sogenannte Perzentilenkurven eingetragen, mit deren Hilfe man einordnen kann, ob das jeweilige Gewicht und die aktuelle Größe tatsächlich dem Lebensmonat entsprechen oder vermehrter Beratungsbedarf bezüglich der kindlichen Ernährung besteht.
Perzentilenkurven bringen manche Eltern aber ganz schön ins Schleudern, obwohl sie nur die Körpergröße und das Gewicht eines Kindes mit jenen seiner Altersgenossen vergleichen und keinen individuellen Entwicklungsverlauf anzeigen.
- Dass zum Beispiel ein sechs Monate altes Kind mit seiner Körpergröße der 10. Perzentile entspricht, verrät lediglich, dass 90% aller Kinder des gleichen Alters, Geschlechts und der gleichen Herkunft größer als es sind und nur 10% kleiner. Zudem spielt naturgemäß die Körpergröße der Eltern eine Rolle. Kinder mit kleinen Eltern werden wahrscheinlich klein sein und umgekehrt große Eltern eher große Kinder haben. Deren Körpergröße wird vermutlich über der 50. Perzentile (durchschnittliche Größe) liegen, was dann in dieser Familie keine große überraschung ist. Wie es einem Kind tatsächlich geht und ob es sich rundum gut entwickelt, sieht man auf der Perzentilenkurve nicht.
Ein gesundes, reif geborenes Baby hat regelmäßig Ausscheidung und eine rosige Haut, nimmt idealerweise parallel zu seiner Ausgangskurve zu und wächst auch entsprechend. Bewegen sich die erhobenen Werte bei den regelmäßigen Kontrollen rund um dieselben Perzentilen, ist dies ein sehr gutes Zeichen. Bei überraschenden Abweichungen muss der Grund für die Wachstumsverzögerung oder die Gewichtsabweichungen gefunden werden.
Die unterste Linie ist die dritte Perzentile. 3% aller gesunden Kinder liegen noch unterhalb dieser Linie. Sie unterscheidet also nicht kranke von gesunden Kindern, sondern ist wie ein Frühwarnsystem zu betrachten.
Wonneproppen und Fliegengewicht
Gesunde Neugeborene
- verdoppeln innerhalb der ersten fünf Lebensmonate ihr Geburtsgewicht
- und verdreifachen es bis etwa zu ihrem ersten Geburtstag.
Säuglinge nehmen in ihren ersten zwei Lebensmonaten nämlich zwischen 170 und 330 Gramm pro Woche zu und zwischen dem dritten und vierten Lebensmonat zwischen 110 und 330 Gramm pro Woche. Muttermilch kann einem Säugling bedenkenlos immer angeboten werden, wenn er danach verlangt.
Dieses Stillen nach Bedarf nennt man „ad libitum“; es ist eine gesunde Art und Weise, Babys zu ernähren und trotz Wachstumsschüben zufriedenzustellen. Die Menge der Muttermilch passt sich nach zwei bis drei Tagen dem Verlangen des Kindes an und die Produktion wird erhöht, wenn das Baby wächst.
Der erste merkliche Entwicklungsschub ist rund um die fünfte Lebenswoche und der zweite etwa ab der achten Lebenswoche zu beobachten. Diese Phasen, in denen das Kind unruhig und unzufrieden sein kann, führen nicht selten zum Abstillen, wenn dieses Phänomen unbekannt ist. Da ist es gut zu wissen, dass diese kleinen Episoden der „Maßlosigkeit“ zu einer normalen Entwicklung gehören und sich schon nach wenigen Tagen wieder ein Still- und Schlafrhythmus einstellt, der sich für alle Beteiligten gut anfühlt.
Gestillte Kinder
Sie nehmen in der Regel rascher zu als mit der Flasche gefütterte. Nach einem halben Jahr werden die Busenfans dann aber meist von den Flaschenkindern überholt. Bei diesen muss das Gewicht im Hinblick auf überfütterung im Auge behalten werden. Denn anders als beim Stillen muss bei dieser Ernährungsweise eine genaue Dosierung eingehalten werden (am besten verwendet man den mitgelieferten Messlöffel). Was die Menge anbelangt, können sie, solange Pre-Nahrung ins Fläschchen kommt, individuell nach ihrem Verlangen gefüttert werden. Bis zum zwölften Lebensmonat nehmen Babys dann etwa 40 bis 110 Gramm pro Woche zu. Dieses große Spektrum der möglichen wöchentlichen Gewichtszunahmen zeigt eindrucksvoll, wie breitgefächert das „Normal“ sein kann.
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel