Eine Rumänin als Eizellenspenderin, ein Däne, von dem die Samenzelle stammt, die Leihmutter eine Ukrainerin, Ärzte einer Privatklinik in Tschechien: Ein ganzes Heer an Personen ist involviert, damit ein junges Paar seinen Sohn in Armen halten kann …
Ein fiktives Szenario? Nein! Dank moderner Reproduktionsmedizin ist die Geschichte von Conny und Martin bereits gelebte „multiple“ Elternschaft. Von der Samen- und Eizellenspende über den Embryonentransfer, Präimplantationsdiagnostik, genetisches Screening, Geschlechterselektion, Invitro-Fertilisation (IVF) bis hin zur Leihmutterschaft: Die Liste der Möglichkeiten für verzweifelte kinderlose Paare ist lang. Faszinierend für die einen, verstörend für die anderen. Während sich in Europa der Reproduktionsmarkt auf die oben genannten Länder sowie Russland und Spanien konzentriert, beherrschen Indien, die USA, Kanada, Mexiko, Thailand und Israel als global Player den „Markt“.
Für Utopisten sind Kinder wie Connys und Martins Sohn „wahre Weltbürger“. Doch friedenbringend ist eine solche Völkervereinigung kaum, basiert sie doch auf dem Nord-Süd-Gefälle von reichen Industriestaaten und ärmeren Ländern – speziell im Fall der Leihmutterschaft. Als „moderne Form der Sklaverei“ betitelt sie etwa Journalistin Elfriede Hammerl in „profil“, als „Reproduktionskolonialismus“ Eva Maria Bachinger in ihrem Buch „Kind auf Bestellung“. Auch wenn Leihmütter (und Eizellenspenderinnen) in der öffentlichen Diskussion meist unsichtbar bleiben und die Datenlage unzureichend ist, eines steht fest: Diese Praxen widersprechen den Menschenrechten, da der Körper bzw. Teile davon als Ware gehandelt werden. Leihmutterschaft könnte man auch als Kinderhandel bezeichnen.
Eizellenspende und Gebärmutter-Leasing
In Österreich ist die nichtkommerzielle Eizellenspende seit dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz von 2015 legal. Der inoffizielle Handel mit Frauen aus dem europäischen Osten floriert freilich schon viel länger. 500 Euro bekommen Spenderinnen in Tschechien, während Empfängerinnen inklusive Behandlung ein Zehnfaches davon bezahlen. Die Ansicht, dass Spenderinnen sich selbstbestimmt dafür entscheiden, lässt Wesentliches außer Acht: Wahlfreiheit existiert nur, wenn es gleichwertige Alternativen gibt, unter denen man wählen kann – was für Frauen aus ärmeren Ländern mit schlechten Verdienstmöglichkeiten fraglich ist. Die medizinische Aufklärung, die für Hormonstimulierung sowie Eizellenentnahme unter Vollnarkose nötig ist, erweist sich meist als lückenhaft und gibt über die wahren Risiken keine Auskunft. In den wenigen Interviews mit Leihmüttern, die nicht unabhängig von den Vermittlungsagenturen geführt werden können, muss man zwischen den Zeilen lesen: Wie es Frauen wohl geht, wenn sie ihre eigenen Kinder unter Lügen zurücklassen und für ein paar Monate in einer anderen Stadt leben, um im Geheimen das Kind einer anderen Familie zur Welt zu bringen? Von den gesundheitlichen Risiken von Schwangerschaft und Geburt ganz zu schweigen …
Auch die rechtliche Lage von Leihmüttern könnte in vielen Ländern schlechter nicht sein: Honorare werden nicht vorab ausgehandelt und Versuche, schwanger zu werden, bzw. Fehlgeburten (die bei Leihmutterschaft häufiger auftreten) nicht bezahlt. Wie denn auch, wenn beispielsweise russische Agenturen „Flat-Rates“ und „All-inclusive-Packages“ anbieten? Laut einer Studie über Leihmütter in Indien sind diese zu einem Großteil Analphabetinnen und können die Verträge nicht einmal lesen.
Die großen Gewinner
Profiteure dieses globalen Reproduktionsmarktes sind Ärzte, Kliniken und Pharmafirmen. Auf rund vier Milliarden US-Dollar jährlich wird der Gewinn des globalen Reproduktionsmarktes geschätzt, jener der Pharmafirmen auf neun Milliarden US-Dollar, so Buchautorin Eva Maria Bachinger. Dass Eizellenspenderinnen und Leihmütter nur einen winzigen Bruchteil davon sehen, macht betroffen, überrascht aber nicht. Ärzte hätten zwei Hüte auf: einen „medizinischen“ und einen „geschäftlichen“, so eine ehemalige Patientin, die für den Film „Future Baby“ von Regisseurin Maria Arlamovsky interviewt wurde. Reproduktionsmediziner dürfen natürlich nicht in Sippenhaftung genommen werden, denn die meisten von ihnen kommen ihrer medizinischen Sorgfaltspflicht nach und leisten unschätzbare fachliche Hilfe.
„WIR SIND EINE IVF-FAMILIE“
NEW MOM: Wollt ihr eurem Sohn davon berichten, wie er entstanden ist?
Edith: Nach sieben Jahren mit sieben IVFs, zwei Kryos (Anm.: bei der Kryokonservierung werden überzählige befruchtete Eizellen oder Embryonen eingefroren, um sie später zu verwenden) und drei Fehlgeburten hat es endlich geklappt. Wir haben in dieser Zeit einen sehr offenen Umgang mit dem Thema entwickelt, denn auch in der Arbeit kann man so viele Behandlungen inklusive Krankenaufenthalte etc. ja nicht verbergen. Wir wollen auch offen mit unserem Sohn darüber reden.
NEW MOM: Bei euch war es medizinisch sehr kompliziert, auf biologischem Weg ein Kind zu bekommen. Wie weit wart ihr bereit zu gehen?
Edith: Uns wurde von der Privatklinik eine Eizellenspende angeboten, obwohl das damals in Österreich noch nicht legal war. Auch die Möglichkeit einer Leihmutterschaft wurde uns genannt (Anm.: in Österreich ausdrücklich verboten). Nach langem überlegen wären wir bereit gewesen, eine Eizellenspende in Anspruch zu nehmen, da hier noch kein eigenständiges Leben weitergegeben wird. Leihmutterschaft wäre ethisch für uns nicht infrage gekommen. Schlussendlich ging es auch ohne Spende.
ELTERNSCHAFT NACH ÖSTERREICHISCHEM RECHT
Kehren wir kurz zurück zum „global Baby“: Inwieweit ist das Kind überhaupt Connys und Martins Kind? Nach österreichischem Recht gilt diejenige Frau als Mutter des Kindes, die das Kind geboren hat, und nicht die Bestellerin der Leihmutterschaft. Laut Website des Außenministeriums erhält das Kind demnach nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, ebenso wenig werden Dokumente für das Kind ausstellt. Dagegen hat sich jedoch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil ausgesprochen.
AUSWIRKUNGEN BEI DEN WUNSCHELTERN
Paare, die sich sehnlich ein Kind wünschen, nehmen eine ambivalente Rolle im globalen Reproduktionsmarkt ein. Sie haben meist eine jahrelange Leidensgeschichte hinter sich, ehe sich das ersehnte Wunschkind einstellt. Sie haben viel Zeit, Geld und mitunter auch ihre Gesundheit investiert (Hormon-Überstimulation der Frau bei IVF ist ein häufiges Problem), fühlen sich nach vielen erfolglosen Versuchen oftmals traumatisiert. Psychologische Begleitung ist nicht verpflichtend, aber unbedingt nötig. „Mit ein, zwei Gesprächen ist es nicht getan“, so Edith, die nach einem langen Weg endlich Mutter wurde. „Der Prozess braucht unbedingt eine begleitende Psychotherapie.“ Undenkbar kompliziert wird es, wenn dritte, vierte oder fünfte Personen in Zeugung und Schwangerschaft involviert sind. Kinderlose Paare müssen sich deshalb und aus ethischen Gründen die Frage stellen: Wie weit wollen wir gehen?
SITUATION DER KINDER
„Es gibt kein Recht auf ein Kind“, betonen Kritiker des Reproduktionsmarktes und heben stattdessen die Rechte des Kindes auf beide Eltern und das Wissen um die eigene Abstammung hervor. Sie ist für die Identitätsfindung essenziell, betonen Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl in ihrem Buch „Spenderkinder“. Der Psychologe und der Pädagoge haben dafür Erwachsene interviewt, die durch Samenspende entstanden sind. Die Familienkonstellationen waren oft problematisch: Wurde die Elternschaft „zu dritt“ verheimlicht, fühlten viele Kinder dennoch, „dass etwas nicht stimmte“.
GESETZESLAGE IN ÖSTERREICH
In Österreich haben Jugendliche mit 14 Jahren das Recht, Auskunft über Details ihrer Herkunft zu erhalten. Demgegenüber steht die Praxis, anonyme Samenspenden (z. B. in Dänemark) zu vermitteln; auch Eizellenspenden und Leihmutterschaft sollen auf Wunsch der (Spender-) Eltern oft anonym bleiben. Lernen wir nicht dazu? Der Königsweg, so empfehlen Betroffene und Experten, ist, so wie bei der Adoption, frühe Aufklärung, damit das Fremde in das Bekannte integriert werden kann. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Doch was, wenn die Wahrheit dank Reproduktionsmedizin immer komplizierter wird?
Nina, Spenderkind:
„ENDLICH KONNTE ICH MEINER EIGENEN WAHRNEHMUNG TRAUEN“
„Ich gehöre zu den ganz wenigen, die ihren leiblichen Vater finden konnten. Er hat sich sehr gefreut, obwohl es auch für ihn sehr umwälzend war. Und auch nicht alles leicht. Es hat mich so sehr befreit, die Wahrheit zu erfahren, das ist mit Worten nicht zu beschreiben. Ich konnte endlich meiner eigenen Wahrnehmung trauen, denn ich habe es gespürt, es fühlte sich an, „als sei ich von woanders hergekommen“, ich passte nicht so ganz in meine Familie. Ich habe mit 28 herausgefunden, woher ich komme, und es war eine Sache, die so sehr an meinen Grundfesten gerüttelt hat, etwas, was viel zu groß war, es in den ersten Jahren zu begreifen – ich war in zwei Psychotherapie-Kliniken. Wir
haben zusammen insgesamt fünf Jahre für die Verarbeitung gebraucht, und ein besseres, friedlicheres, liebevolleres Gefühl habe ich nie in meiner Familie gehabt als jetzt! Es ist jetzt alles in Ordnung, im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder hat seinen Platz. Ich habe eine Mutter und zwei Väter.“ (siehe Verein www.spenderkinder.de)
Information und Literatur zum Thema:
Verlag mit Ratgebern für die altersgerechte Aufklärung von Kindern aus ART-Familien (assistierte Reproduktionstechnologie) sowie entsprechenden Kinderbüchern
KINDERWUNSCH
Der Ratgeber des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD)
von Doris Wallraff, Petra Thorn, Tewes Wischmann
Kohlhammer Verlag 2014, ISBN 978-3-17023-941-8
SPENDERKINDER
Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen: Was Kinder fragen werden.
Was Eltern wissen sollten.
von Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl
Verlag Fischer & Gann 2016, ISBN 978-3-90307-216-9
KIND AUF BESTELLUNG
Ein Plädoyer für klare Grenzen
von Eva Maria Bachinger
Deuticke
Autor:in:
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek
Dr. Doris Rosenlechner-Urbanek lebt und arbeitet in Salzburg als Sozialwissenschaftlerin und freie Redakteurin. Aktuelle Artikel