Segelohren, Elefantenohren, Henkelohren, Eselsohren … Abstehende Ohren sind zwar aus medizinischer Sicht kein Problem, zumindest aber ein psychologisches und ästhetisches Handicap. Die einzige Lösung bisher: eine Operation. Das Universitätsklinikum Graz zeigt vor, dass es auch unblutig geht. NEW MOM berichtet.
Diagnose „Otapostasis“ oder „Apostasis otum“: Das bedeutet schlicht, dass mindestens ein Ohr absteht oder der Ohrknorpel einen unschönen Knick hat. Mögliche Gründe dafür: Vererbung, ungünstiger Druck und Zug in der Gebärmutter oder während der Geburt bzw. die Lage der Muskelansätze am Ohr. Zwar verwenden wir diese Muskeln kaum mehr, aber in grauen Vorzeiten konnte auch der Mensch seine Ohren willkürlich bewegen, um die Schallwellen besser aufzufangen. Ohrenwackeln ist ein kläglicher Rest dieser Fähigkeit.
Weit verbreitet
Abstehende Ohren gibt es gar nicht so selten: Rund 20 bis 30 Prozent der Neugeborenen sind davon betroffen, sieht man’s ästhetisch sehr kritisch, dann sind es gar 44 Prozent. Medizinisch gesehen ist der Befund unbedeutend, doch die Kinder sind extremer Hänselei ausgesetzt. Eine Operation ist erst ab dem fünften Lebensjahr möglich, wenn der Ohrknorpel stabil genug ist.
Es gibt unterschiedliche OP-Methoden, aber alle bedeuten Vollnarkose, Wundfläche und aufwändige Nachsorge. Die Korrektur dauert 45 Minuten pro Ohr, danach muss das Kind zwei Wochen lang einen Verband tragen und drei weitere Wochen ein Stirnband. Noch einmal drei Wochen ist das Stirnband beim Sport und beim Schlafen ein Muss. Vor allem in der ersten Phase geht es außerdem nicht ohne Schmerzmittel ab.
Sanfte Alternative
„Das muss anders gehen“, dachte Professor Dr. Stephan Spendel von der Klinischen Abteilung für Plastische, ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie an der Medizinischen Universität Graz. Als seiner Klinik das Produkt eines amerikanischen Herstellers angeboten wurde, war er daher sogleich angetan. In den USA ist das EarWell-System, das am Ohr des Babys angebracht wird, seit 2010 zugelassen. Zwar hatte es schon vorher Versuche gegeben, das Problem mechanisch zu lösen, dabei wurde aber der richtige Zeitpunkt nicht berücksichtigt: Nur in den ersten beiden Lebenswochen ist der Ohrknorpel noch weich genug, um sich formen zu lassen. Als Grund vermutet Prof. Spendel, dass die kindliche Leber erst lernen muss, das mütterliche Östrogen abzubauen. Das dauert etwa 14 Tage, und so lange ist der Knorpel noch weich und willfährig. Danach verhärtet er sich und strebt danach, wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren.
Nicht immer besteht unbedingt Handlungsbedarf. In rund zehn Prozent der Fälle hat die Natur ein Einsehen und regelt die Sache selbst. Um den günstigen Zeitpunkt nicht zu versäumen, falls sie es nicht tut, fertigen Professor Spendel und sein Team in den ersten Lebenstagen Fotos an. Ist das Segelohr nach ein paar Tagen immer noch da, heißt es modellieren.
Modellieren statt operieren
Prof. Spendel empfiehlt, EarWell, eine Silikonschale mit Schutzdeckel, am besten während des Stillens anzubringen, wenn der Säugling zufrieden ist. Dafür wird zunächst ein Streifen um das Ohr abrasiert – die Haare bekommen die Eltern als Andenken an den ersten Haarschnitt natürlich mit – und dann die weiche Silikonschale angeklebt; Klemmen halten die Ohrmuschel in der gewünschten Form. Mit ein wenig Schaumstoff lässt sich die Passform auch variieren. über das Ganze kommt schließlich ein gelochter Deckel zum Schutz. Das ist alles. „Die Schalen sind für die Kinder sicher kein Trauma“, ist Stephan Spendel überzeugt. Nach 14 Tagen bis drei Wochen kommen die Schalen wieder herunter und – voilé ! – schön anliegende Ohren können bewundert werden! Sie sind übrigens individuell nicht nach einem Einheitslook geformt.
Erfolgskontrolle
Nach vier bis sechs Wochen erfolgt die Nachkontrolle. Das Ergebnis wird mittels genauer Vermessung und Fotos dokumentiert. Die Erfolgsrate in den USA liegt bei 90 Prozent. Sollte die Behandlung nicht das gewünschte Resultat gebracht haben, liegt das meist daran, dass die Schalen wegen Druckstellen vorzeitig abgenommen werden mussten. Bisweilen stellt sich – leider erst bei der Nachkontrolle – heraus, dass zwei bis drei Wochen Therapie zu wenig sind.
Um und Auf für einen Behandlungserfolg ist das korrekte Anlegen der Schalen bzw. der „Retraktoren“, der kleinen Silikoneinlagen. Damit jedes Baby gebührend betreut werden kann, wird Professor Spendel von Assistenzärztin Dr. Patrizia Lebo unterstützt.
ÖsterOhr
In Graz wurden bisher 30 Kinder versorgt. Steiermarkweit, so Professor Spendel, sei mit einem Bedarf von rund 300 Behandlungen pro Jahr zu rechnen. Mittlerweile wird die Ohrmodellage übrigens in allen größeren österreichischen Städten angeboten. Laut Hersteller sei Österreich damit Vorreiter in Europa!
EarWell: Fragen & Antworten
Wie finde ich in meiner Region einen Arzt, der mit EarWell arbeitet?
Einfach auf die Website des Herstellers gehen: www.earwell.at
Nichts in der Nähe gefunden?
Dann direkt beim Hersteller anfragen, da laufend neue é„rzte dazukommen:
E-Mail office@earwell.at
Kann EarWell auch bei anderen Ohrdeformitäten helfen?
Auch in diesem Fall direkt beim Hersteller nachfragen.
Autor:in:
Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel