Simple Present – Aufmerksamkeit statt Stress
Berufstätige Mütter versuchen täglich, den Spagat zwischen ihren verschiedenen Aufgaben zu schaffen: Kinderarzt und Konferenz, Schulfest und Dienstreise, Schokokuchen für die Kinderparty und Brötchen fürs Businessmeeting. Die häufig propagierte Lösung heißt: Work-Life-Balance. Doch was nach einem Harmonieversprechen klingt, funktioniert in vielen Fällen in der Praxis leider nicht.
Schluss mit dem Spagat! Felicitas Richter weiß, wovon sie spricht, schließlich ist die Autorin und studierte Sozialpädagogin vierfache Mutter und hat genügend einschlägige Erfahrungen gesammelt. Aus ihrer eigenen Machtlosigkeit heraus entwickelte sie eine viel versprechende Erfolgsmethode, die verhindern soll, dass sich Eltern zwischen Familie und Beruf zerreißen: simple present – so heißt die Methode – ist das Gegenteil von Multitasking. Danach sollen Mütter gar nicht unzählige Dinge gleichzeitig erledigen, sondern sich jeweils einer Aufgabe mit voller Aufmerksamkeit und Konzentration widmen. Wie der Name schon sagt: „einfach da sein“.
Die Murmel, die alles veränderte
Als Felicitas Richter eines Tages über einem Projekt brütete, entdeckte sie eine kleine Glaskugel auf ihrem Schreibtisch. Sie ließ sie gedankenverloren kreiseln, um schließlich fasziniert zu beobachten, wie sich die Murmel rasant drehte und doch fest an ihrem Platz blieb. Dieser Gedanke gefiel ihr: sich bewegen und doch ruhig bleiben, konzentriert, in der eigenen Mitte. Wie schaffte die kleine Glaskugel das nur? Als die Sozialpädagogin die sich kreiselnde Murmel plötzlich anschubste, verlor diese augenblicklich ihre ruhige Bahn und begann zu schlingern.
Felicitas Richter verglich diese Beobachtung mit ihrem Leben als berufstätige Mutter. Es ist bedeutsam, im Gleichgewicht zu leben: zwischen der inneren Freude und Begeisterung am Muttersein und der Konzentration auf die zu erledigenden Aufgaben. Dies funktioniert nur, wenn man eine Sache nach der anderen erledigt. Wird man – wie die Murmel – von außen stets angestupst und in seiner Tätigkeit gestört, gerät man leicht ins Schlingern. Neurowissenschaftler haben schon vor geraumer Zeit entdeckt, dass Multitasking langfristig nicht funktioniert und Menschen ausbrennen lässt.
Die simple-present-Methode war also geboren. Doch ist es wirklich so einfach, in Balance zu bleiben? Und wie funktioniert es, sich immer nur auf eine Sache zu konzentrieren?
simple present versus simple perfect
Felicitas Richter warnt vor der Perfektionsfalle. Mütter wollen alles richtig machen und einfach perfekt sein. Trotz der besten Planung passiert es aber doch: Das Kind hat kein Turnzeug mit, die Jause wurde zu Hause liegen gelassen. Oder schlimmer noch: Die Schulaufführung wurde vergessen, und das Kind hat als Einziges keine Zuschauer im Publikum! Wer ist schuld? Ganz klar: Mama kriegt ihren Job und die Familie einfach nicht auf die Reihe! Wenn dieser Vorwurf nicht von außen kommt, dann klagt zumindest die innere Stimme die meisten Mütter an.
Damit ist bei simple present Schluss. Wenn alles zu viel wird, dürfen Mütter zu sich selbst sagen: „Es ist gut, anspruchsvoll zu sein. Was wirklich wichtig ist, sollte auch gut funktionieren, aber ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Das kostet zu viel Kraft. Ich möchte das „ich muss“ loslassen! Unter Druck entstehen vielleicht Diamanten, aber keine gelassenen, glücklichen Mütter und Kinder!“
Du gewinnst nie allein!
Was aber tun, wenn ein Kind plötzlich krank wird, die Tagesmutter ausfällt und ein wichtiges Geschäftsmeeting ansteht? Frau Richter empfiehlt, ein Netzwerk aufzubauen, und zwar rechtzeitig. Sie hat eine Erkenntnis des Formel-1-Fahrers Mika Häkkinen zum Motto gemacht: „Du gewinnst nie allein. An dem Tag, an dem du etwas anderes glaubst, fängst du an zu verlieren“. Im Gegenzug kann man selbst Hilfeleistungen anbieten. So entstehen nebenbei Freundschaften mit Nachbarn und Kollegen.
Simple present funktioniert, wenn Mütter sich klar werden, dass sie nicht für alles allein zuständig sind. Felicitas Richter empfiehlt: „Planen Sie gemeinsam mit Ihrer Familie die anstehenden Aufgaben und verteilen Sie grundsätzlich Erledigungen fix an einzelne Familienmitglieder. So fällt das tägliche , Deck‘ den Tisch, räum‘ den Geschirrspüler ein und putz‘ das Waschbecken weg!“ Sich nicht für alles zuständig zu fühlen, bedeutet allerdings auch, an die anderen nicht den gleichen Perfektionsanspruch wie an sich selbst zu stellen. Vielleicht ist die Toilette oder das Bad nicht perfekt geputzt, vielleicht wird der Müll erst ein paar Stunden später entsorgt, aber Kind und Mann lernen Verantwortung im Haushalt. Wozu sollten sie Aufgaben selbständig entdecken und übernehmen, wenn die perfekte Hausfrau ohnehin schon alles erledigt hat? Felicitas Richter nennt dieses Vorhaben „Die Axt schärfen“: „Weg vom Reagieren hin zum selbstbestimmten Handeln, raus aus der Perfektionsfalle, hin zu echtem Miteinander beim Projekt „Alltag“!“
Das Wesentliche im Wahnsinn
- Eigenen Bedürfnissen Raum zu geben und das auch den anderen Familienmitgliedern zu kommunizieren sind weitere wichtige Grundlagen der simple-present-Methode. Ein paar mamafreie Tage oder Stunden lassen die Kinder oft erst entdecken, dass sich das Essen nicht von alleine macht und die Wäsche nicht von selbst wäscht.
- Ein großes Geheimnis ist es, die Wartezeiten, die der Alltag bietet, nicht als lästige Zeiträuber, sondern als geschenkte Mini-Pausen zu sehen: das Warten beim Arzt oder an der Supermarktkassa etwa. „Wer innehält, erhält inneren Halt“, lautet das Motto. Und genau darum geht es bei simple present: sich in dem alltäglichen Wahnsinn auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Zeit mit den Kindern zu genießen, anstatt nur im Eiltempo zu durchleben. Sich bewusst zu sein: „Ich bin keine in dem ganzen Stress willenlos hin- und herschlingernde Murmel. Ich habe es selbst in der Hand, meine Lebenskugel so zu steuern, dass sie ruhig und gleichmäßig kreiselt“.
Das gelingt nicht von heute auf morgen, aber vielleicht jeden Tag ein bisschen mehr…
12 simple-present-Ideen für den Alltag:
- Widmen Sie sich immer nur einer Sache.
- Lassen Sie sich nicht hetzen, gehen Sie in ihrem eigenen Tempo.
- Schreiben Sie sich eine Not-to-do-Liste.
- Treffen Sie sich mit Menschen, die Ihnen wirklich wichtig sind.
- Halten Sie mehrmals täglich inne.
- Schenken Sie anderen Ihre Aufmerksamkeit.
- Wechseln Sie verplante und unverplante Zeiten bewusst ab.
- Räumen Sie täglich eine Schublade auf.
- Unterbrechen Sie gezielt ab und zu kurz ihre Beschäftigung: Blicken Sie aus dem Fenster, hören Sie kurz Musik oder trinken Sie eine Tasse Kaffee.
- Tun Sie täglich jemandem etwas Gutes (ein Lob, eine kleine Aufmerksamkeit, ein freundliches Lächeln, ein Anruf …).
- Halten Sie täglich einen kurzen Tagesrückblick und notieren Sie drei Dinge, über die Sie sich gefreut haben.
- Lassen Sie einen Abend pro Woche alle Medien ausgeschaltet.
Buchtipp:
- „Schluss mit dem Spagat. Wie Sie aufhören, sich zwischen Familie und Beruf zu zerreißen“
Von Felicitas Richter
Südwest Verlag
ISBN 978-3-517-09293-5
Autor:in:
DI Roswitha Wurm Dipl. Legasthenie-, Dyskalkulie- und Lerntrainerin, Buchautorin und freie Redakteurin, (Sport)mentaltrainerin https://lesenmitkindern.at/ Aktuelle Artikel