Diagnose: Frenulum linguae breve
Zunge zu zeigen ist nicht bloß Unfug, sondern auch ein Zeichen für ihre Beweglichkeit. Wäre da nicht bei manchen ein verkürztes Zungenbändchen! Es hält Die Zunge am Zungengrund fest und kann Probleme beim Stillen, Sprechen und Küssen machen.
Während jeder Stillmahlzeit lässt Jonas die Brust mehrmals los, und wenn er doch zu saugen beginnt, rinnt Milch aus seinen Mundwinkeln. Richtig genussvoll und entspannt scheint das Stillen weder für ihn noch für seine Mama zu sein. Denn ihre Brustwarzen schmerzen mittlerweile, und dass ihr Schatz nun nicht ausreichend zunimmt, macht der jungen Mutter Sorgen. Nachdem die Kinderärztin bei der ersten Mutter-Kind-Pass Untersuchung die Diagnose stellt, bekommt das Problem einen kompliziert klingenden Namen … und eine recht einfache Lösung.
- Jonas hat nämlich ein „Frenulum linguae breve“, also ein zu kurzes Zungenband. Damit wird die beeinträchtigende Kürze und mangelnde Beweglichkeit des Schleimhautbändchens unter der Zunge beschrieben.
Auffallend dabei ist, dass betroffene Kinder ihre Zunge nicht gut über Zahnleiste und Unterlippe bewegen können. Aber auch eine Einkerbung der Zungenspitze beim Herausstrecken kann ein sichtbares Zeichen dafür sein. Die Zunge erinnert in diesem Fall an ein kleines Herzchen. Mittels eines kurzen und kaum schmerzhaften Eingriffs, der Frenotomie, wird Babys wie Jonas eine verbesserte Zungenbeweglichkeit ermöglicht.
„Bei einem zu kurzen Zungenband gelingt es dem Säugling nicht, einen guten Saugschluss und Unterdruck zu erzeugen, um Milch ansaugen und somit effizient trinken zu können. Oftmals bilden sich bei diesen Kindern kleine Saugbläschen auf der Lippe und sie schlucken beim Trinken vermehrt Luft. Auch beim Trinken aus dem Fläschchen treten ähnliche Probleme auf“ – ao. Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall (Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinderund Jugendheilkunde)
Buben mehr betroffen
Schätzungen zufolge sind etwa ein bis zehn Prozent aller Neugeborenen von diesem Handicap betroffen – Buben etwas häufiger als Mädchen.
Wichtig bei der Diagnosestellung ist aber nicht nur das Erscheinungsbild des Zungenbandes, sondern auch die Beurteilung der Funktion. Eine bewährte Methode dafür ist das Screening nach Alison Hazelbaker. Es bezieht sieben Kriterien zur Funktion und fünf Kriterien zum Erscheinungsbild der Zunge ein und ist bis zum Lebensalter von sechs Monaten geeignet.
Für das Gesamtbild werden beispielsweise:
- Stillmahlzeiten beobachtet
- und Schmerzen während des Stillens miteinbezogen,
- auch wird der Zustand der Brustwarzen erhoben.
- Zudem berücksichtigt man die produzierte Muttermilchmenge,
- das Ausmaß der Zufütterung
- und die kindliche Gewichtszunahme.
Das ist ein komplexes Unterfangen, bei dem der Säugling in den Händen erfahrener Kinderärzte, Hebammen oder Stillberaterinnen am besten aufgehoben ist, die sich auf diese Thematik spezialisiert haben.
Beim Stillen: Die Anlegetechnik macht’s aus
Manche Babys mit verkürztem Zungenbändchen kommen durchaus mit dem Stillen zurecht, wenn man besondere Anlegetechniken anwendet.
- Lehnt sich die Mutter beim Stillen zurück (Laidback- Nursing) und liegt das Baby diagonal zur Körperlinie, kann es die Brust am ehesten erfassen.
- Auch das asymmetrische Anlegen führt oft zum Stillerfolg: Anders als beim symmetrischen Stillen nimmt das Baby die Brustwarze nicht zentriert in den Mund, sondern schnappt mehr vom unteren Teil des Brustwarzenhofes auf als vom oberen. Auf diese Weise rutscht die Brustwarze am tiefsten in den Mund und das kurze Zungenbändchen lässt sich etwas kompensieren. Beim Anlegen selbst sollte die Nase und nicht der Mund vor der Brustwarze liegen, damit das Baby den Kopf leicht in den Nacken legen muss, um anzudocken.
Klappt es aufgrund des funktionellen Problems mit dem Stillen dennoch nicht, empfiehlt die Kinderärztin, möglich früh chirurgisch einzugreifen, um ein Abstillen zu verhindern. „So wird nicht nur kurzfristig das Stillen erleichtert, sondern werden auch langfristige gesundheitliche Probleme vermieden“, so Prof. Karall.
Probleme beim Küssen
Ein unbehandeltes zu kurzes Zungenband führt selten, aber doch auch zu Problemen beim Sprechen. Insbesondere mit der Zunge gebildete Laute wie d, t, l, n und s können Kinder mit einem zu kurzen Zungenband schwerer erzeugen – oft beginnen sie zu lispeln.
Wenn die Zunge in ihrer Funktion eingeschränkt wird, wirkt sich das auch auf die Zahn- und Kieferstellung aus, und Nahrung kann mitunter schlechter geschluckt werden. Als ob das nicht schon genug Gründe wären, dem Handicap mit dem zungenbrecherischen Namen „Frenulum linguae breve“ so rasch wie möglich auf den Leib zu rücken, folgt hier noch einer: Mit einem zu kurzen Zungenband fällt Schmusen schwerer oder klappt gar nicht … Bäh, das geht aber nun wirklich zu weit!
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel