Wie Erfahrungen prägen
Unsere Gene treten mit Umwelteinflüssen in stetige Wechselwirkung, und auch Erfahrungen während wichtiger Entwicklungsphasen können Spuren in unserer Erbsubstanz hinterlassen – ein Einblick in das Forschungsgebiet der Epigenentik.
„Ein bisschen Mama, ein bisschen Papa und ganz viel Wunder“, so steht es in vielen Geburtsanzeigen – und doch scheint diese Annahme nur die halbe Wahrheit zu sein. Sie bezieht sich schließlich ausschließlich auf die Weitergabe von Erbanlagen, die wir in den Genen tragen und unseren Kindern weitervererben. Das betrifft Körpermerkmale wie die Augenfarbe oder die Körpergröße, vielleicht eine Teilleistungsschwäche oder auch Erbkrankheiten.
Doch nicht nur die Gene tragen wichtige Informationen und prägen uns über Generationen hinweg. Auch die Art und Weise, wie das Erbmaterial verpackt ist, hat einen bedeutenden Einfluss auf unser Leben. Denn die Verpackung liegt vereinfacht gesagt in einer Proteinstruktur vor und entscheidet darüber
- ob und auf welche Weise genetische Information umgesetzt werden kann
- und ob Gene aktiv sind oder eben nicht.
Heute gilt als unumstritten, dass diese Verpackung bei der Zellteilung von einer Zellgeneration an die nächste weitervererbt wird. Welche Auswirkungen beispielsweise Umwelteinflüsse auf diese Mechanismen haben können und wie weit die Einflussnahme über mehrere Generationen reichen kann, ist ein großes Forschungsfeld, das mit Hilfe von Tierversuchen eifrig beackert wird.
Forscher gehen aber bereits davon aus, dass sportliche Aktivität, Alkohol, Rauchen, die Ernährung oder traumatische Lebenserfahrungen sich auf unsere Gene auswirken. Neue Erkenntnisse der Epigenetik zeigen, dass die physische und psychische Gesundheit werdender Mütter und die Art, wie Frauen gebären, Folgen für die kindliche Entwicklung haben können. Beispielsweise haben Kinder von übergewichtigen Müttern und Vätern ein hohes Risiko, übergewichtig geboren zu werden und dies auch im Erwachsenenleben zu bleiben.
Das Ungeborene baut die Erfahrungen seiner Mama in seinen eigenen genetischen Code ein.
Wichtige Phase der Schwangerschaft
Univ. Prof. DDr. Johannes Huber ist Facharzt für Frauenheilkunde und Gynäkologie, Theologe und Autor. Er erklärt in seinem bereits 2010 erschienenen Buch „Liebe lässt sich vererben“, wie sich Erfahrungen der schwangeren Frau in einer der wichtigsten Prägephase, der Schwangerschaft, auf das ungeborene Kind auswirken können.
Kinder bekommen nämlich schon im Mutterleib unglaublich viel davon mit, was der Mutter wiederfährt, wie mit ihr umgegangen wird und ob sie Stress ausgesetzt ist oder nicht. Das Kind in der Gebärmutter ist also kein reiner stiller Beobachter und unbeteiligter Untermieter. Ganz im Gegenteil, es baut die Erfahrungen seiner Mama in seinen eigenen genetischen Code ein und ist somit unmittelbar davon betroffen, was sie erlebt.
Um dieses Wissen reicher, sollten schwangere Frauen sich nicht nur um ihr körperliches Wohlergehen kümmern, sondern auch besonders gut auf ihr seelisches Gleichgewicht achten. Denn Stress, Kränkungen, Mobbing aber auch, Essgewohnheiten und andere Vorlieben werden tatsächlich an das ungeborene Kind weitergereicht und prägen es nachhaltig.
Geht’s der Mama gut, geht’s uns allen gut
Wenig Wunder – entsteht allein beim Lesen dieser Zeilen bei vielen von uns ein immenser Verantwortungsdruck, der nicht alleine auf den Schultern von werdenden Müttern abgelegt werden darf. Vielmehr sollte dieses Wissen zu einem gesellschaftlichen Umdenken führen in dem Sinne, dass mit schwangeren Frauen tunlichst besonders respektvoll, liebevoll, entlastend und fürsorglich umgegangen wird.
Erste Lebensjahre besonders wichtig
Glücklicherweise behält sich die Natur in ihrer unfassbaren Genialität weitere Prägungsphasen vor, die noch korrigierend eingreifen können.
Die ersten Lebensjahre sind eine besonders wichtige Zeit der kindlichen Entwicklung. Kinder sollten in dieser Lebensphase mit viel Hautkontakt verwöhnt werden. Aufgetankt mit viel liebevoller Zuwendung können sie selbstsicher und unerschrocken durchs Leben gehen. Werden unsere Jüngsten also viel geküsst, gestreichelt und gehalten, speichern sie diese positive Erfahrung in den Genen ab und können die wertvolle Erfahrung später in Stresssituationen wunderbar abrufen.
Autor:in:
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien am Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter. Aktuelle Artikel